Die Maurin
schluchzte sie. »Erst waren es die Häscher der Christen in meinem Dorf, jetzt sind es deine Landsleute, die ihn uns bringen.«
Raschid presste sie an sich. Seine Augen glühten vor Schmerz und Zorn. Sadiya starb noch in derselben Nacht.
Im ersten Licht des Tages rüttelte jemand Raschid an der Schulter. Er blinzelte und erkannte Boabdil, der ihm Zeichen machte, mit in den Patio zu kommen.
»Wir müssen fort«, erklärte Boabdil ihm dort. »Ein Spitzel hat eben gemeldet, dass uns az-Zagal auf den Fersen ist. Schon am Mittag wird er hier sein!«
Raschid rieb sich über das Gesicht, um auch noch den letzten Rest Schlaf zu vertreiben. »Aber die Festung ist doch hervorragend gesichert!«
»Az-Zagal rückt mit viermal mehr Soldaten an, als wir hier haben, und ich kann die letzten Menschen, die zu mir halten, nicht offenen Auges dem Untergang weihen!«
»Und was jetzt? Euer Onkel herrscht über Málaga und Granada; es gibt keinen anderen Ort in al-Andalus, an den wir ausweichen können!«
Boabdil schluckte. »Aber im Land der Christen.«
Raschid riss die Augen auf. »Ihr wollt … bei den Christen unterkriechen?«
»Das wagst du nicht!« Der empörte Aufschrei Aischas ließ sie herumfahren. »Nicht einmal du kannst so weit sinken!«
Sie war ganz in Schwarz gekleidet, ihre Augen blitzten vor Wut und Fassungslosigkeit. Boabdil hob die Hände. »Mutter, ich kann nicht meine letzten Getreuen in den Tod schicken! Az-Zagal hat es vor allem auf mich abgesehen. Wenn er mich nicht vorfindet, wird er den Menschen hier nichts tun. Ich habe keine Wahl!«
»Sie nennen dich nicht umsonst
az-Zugaibi,
den Unglücklichen. Nur ein Verdammter kann auf so einen Plan verfallen!«, schleuderte Aischa ihm hasserfüllt entgegen.
»Ein Verdammter oder ein Verzweifelter«, gab Boabdil müde zurück. »Mutter, mein Entschluss steht fest. Ich werde nicht noch mehr Menschen ins Unglück reißen, nur weil ich ein Unglücklicher bin. Bitte, schließt Euch uns an!«
»Niemals«, zischte Aischa, »werde ich einen Fuß in das christliche Land setzen, es sei denn, um es zu erobern!«
»Dann hoffe ich, dass Ihr wenigstens meinen Bruder mit uns ziehen lasst. Auch er muss den Zorn az-Zagals fürchten.«
»Dein Bruder Yussuf ist keine solche Memme wie du!«, spuckte Aischa ihm entgegen und rauschte davon.
Obwohl Boabdil seinem Bruder erklärte, dass er mit der Unterstützung der Christen Granada zurückzuerobern hoffte, weigerte sich auch Yussuf, bei den Christen Zuflucht zu suchen. Ihm blieb wenig Zeit, seinen Entschluss zu bereuen: Drei Stunden, nachdem Boabdil mit seinen Getreuen aufgebrochen war, erreichte az-Zagal die Stadt. Die Wachen öffneten ihm die Toren ebenso willfährig, wie Boabdil sie angewiesen hatte. Az-Zagal stürmte den Palast und fand dort Aischa und ihren jüngeren Sohn. Der hübsche, kräftige junge Mann blickte seinem hochgewachsenen Onkel furchtlos entgegen.
»Wo ist Boabdil?«, herrschte az-Zagal ihn und Aischa an.
»In Sicherheit«, erklärte Aischa ruhig.
»Wo?«, brüllte az-Zagal und schlug ihr mit der Handkante ins Gesicht. Aischa taumelte zurück, verzog aber keine Miene. Az-Zagal packte Yussuf und drückte ihm die Schneide seines Dolches an die Kehle. »Nun sag schon, du missratene Kreatur einer Giftnatter, wo ist dein Bruder?«
Yussuf schwieg und schloss die Augen. Als az-Zagals Klinge seinen Hals durchdrang, entfuhr dem jungen Mann nicht mehr als ein ersticktes Röcheln. Dann sank er zu Boden. Aischa rührte sich nicht von der Stelle, und sie brach auch nicht in Wehklagen aus. Stattdessen trat reiner Hass in ihre heiß glühenden Augen, und sie spie az-Zagal ins Gesicht. »Mehr als wehrlose Kinder töten konntest du noch nie! Deine Mutter hat mit einem Skorpion verkehrt, um dich hervorzubringen. Möge Gott dich verfluchen und dich und die Deinen bis in alle Ewigkeit in der Hölle schmoren lassen!«
Wieder riss az-Zagal die Hand hoch, um sie zu schlagen, bezwang sich dann aber und gab seinen Soldaten den Befehl, sie zu fesseln und in das tiefste Verlies Granadas zu sperren, bis ihre scharfe Zunge vermodert war.
Schon einen Tag später holte ein Bote Boabdil ein und berichtete ihm von den Vorkommnissen in Almería.
»Der Wille des Allmächtigen ist geschehen«, murmelte Boabdil mit dem gleichen stoischen Fatalismus, mit dem er bisher alle Schicksalsschläge seines Lebens hingenommen hatte.
Zwei Wochen später erreichten sie Córdoba. Isabel und Fernando weilten nicht in der Stadt. Man rief
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