Die Maurin
einen Lidschlag später einen jungen
hidalgo
von seinem Pferd heruntergezerrt hatte, sich in den Sattel schwang, Zahra und ihren Sohn zu sich hochzog und mitten durch die Menschenmenge mit ihnen davonjagte. Nur wenige Straßenzüge weiter standen ihre Pferde. Da ihre Verfolger noch ein Stück zurücklagen, wechselten sie auf ihre Tiere und preschten aus der Stadt hinaus. Immer wieder blickten sie sich um, bis sie endlich davon überzeugt waren, die Soldaten abgehängt zu haben. In ihrem kleinen Landhaus hielt Zahra Jaime erneut vor, dass sie bei den Mauren sicherer wären.
»Das wären wir nicht«, widersprach dieser. »Denn die Mauren hassen uns Christen ebenso sehr wie wir sie!«
»Das stimmt nicht. Unter uns leben viele Christen und Juden – und das im besten Einvernehmen!«
»Aber sie leben nicht ohne Gottes Segen mit einer Maurin zusammen, sondern alle unter sich!«
»Ach, Jaime, du müsstest doch nur so tun, als wärst du zu unserem Glauben übergetreten! Kein Mensch würde dich fragen, ob du regelmäßig deine Gebete vollziehst. Es reicht, dass du auf Schweinefleisch verzichtest und das Fasten im Ramadan einhältst. Wir könnten endlich in Frieden leben. Vergiss wenigstens unserem Sohn zuliebe deinen Hass auf meine Landsleute!«
»Und wenn dich dort jemand von deiner Familie aufstöbert? Wärst du dann nicht genauso in Gefahr?«
»Selbst die würden mir nichts tun, solange wir behaupten, dass du jetzt Muslim bist und wir verheiratet sind.«
»Verheiratet vor einem, wie heißt das noch bei euch? Einem Qadi?«
»Genau.« Zahra sah Jaime eindringlich an. »Jaime, bitte, denk wenigstens darüber nach!«
Jaime machte eine Handbewegung, die alles und nichts bedeuten konnte. Im gleichen Moment hörten sie Hufschlag. Jaime eilte zum Fenster und fluchte. »Zahra, los! Nimm Abdarrahman und nichts wie raus durch die Hintertür!«
Er hatte sein Schwert und seine Geldkatze noch nicht abgelegt und schob rasch den Tisch unter den Griff der Eingangstür. Zahra brauchte nicht zu fragen, wer die Ankömmlinge waren. Die Soldaten aus Sevilla mussten ihrer Fährte gefolgt sein. Sie rannte hinaus zu den Pferden, die sie in weiser Voraussicht immer hinter dem Haus anbanden, und saß noch vor Jaime im Sattel. Als er aufgestiegen war, reichte sie ihm Abdarrahman und hieb ihrer Stute die Zügel über. Das kluge Tier preschte in einem Tempo durch den Wald, dass selbst Jaime auf seinem feurigen Barbakan Mühe hatte mitzuhalten. Und wieder einmal mussten sie all ihr Hab und Gut zurücklassen.
Erst nach einer Stunde hatten sie den Eindruck, die Soldaten abgeschüttelt zu haben. Trotzdem trieb Jaime Zahra an, zügig weiterzureiten. Erst als die Nacht über ihnen hereinbrach, billigte er ihnen eine Rast zu. Ächzend ließ sich Zahra vom Pferd gleiten, rieb sich ihre wunde Kehrseite und nahm Jaime ihren schon seit geraumer Zeit vor Hunger weinenden Sohn ab. Sie setzte sich mit ihm auf einen Baumstumpf und wiegte ihn im Arm. »Ich fürchte, wir werden heute alle ohne Abendessen bleiben, mein armer Kleiner, aber morgen früh finden wir bestimmt einen Bauern, der uns etwas verkauft.«
»Hunger«, jammerte der kleine Kerl, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war, nur dass er keine dunkelblonden, sondern schwarze Locken und auch schwarze Augen hatte. Er weinte noch heftiger. »Mama, Abda Hunger!«
Zahra blickte zu Jaime. In ihren Augen war kein Vorwurf, trotzdem herrschte Jaime sie an: »Ich weiß genau, was du sagen willst!«
»Das wollte ich zwar nicht«, berichtigte Zahra ihn, »aber wenn du schon das Thema anschneidest: Ja, bei den Mauren wären wir allerdings sicherer!«
Wortlos breitete Jaime eine Decke auf dem Boden aus und sagte Zahra, sie solle sich mit Abdarrahman ausruhen.
»Und du?«, fragte sie.
»Ich muss nachdenken«, knurrte er und setzte sich mit abgewandtem Rücken auf einen Findling.
Am nächsten Morgen willigte Jaime endlich ein, sich im arabischen Gebiet umzusehen. »Aber ob wir dort bleiben, werde ich erst entscheiden, wenn ich sehe, wie ich mich dabei fühle«, erklärte er ihr grimmig.
Zahra bemühte sich, ihre Freude über sein Einlenken nicht offen zu zeigen, damit er es ihr nicht als Triumph auslegte. Schweigend stieg sie mit Abdarrahman auf ihr Pferd und folgte Jaime auf ihrem neuen Weg, bis sie zu einer Taverne kamen, in der sie frühstückten und Proviant für die Weiterreise kauften. Erst als sie eine Stunde lang weitergeritten waren, wagte Zahra Jaime zu fragen, wohin er
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