Die Maurin
hoch. »Dieser Verräter wagt es, hier aufzutauchen? Haben er und az-Zagal nicht schon genug Unheil über unser Volk gebracht? In den Kerker gehört er, nicht in unsere Versammlung!«
Die anderen Berater pflichteten ihm bei, doch Boabdil gebot ihnen zu schweigen. »Ich weiß, welches Leid und welchen Schaden Yazid uns allen und vor allem dir, Raschid, zugefügt hat. Trotzdem möchte ich ihn zumindest anhören.«
Zähneknirschend nahm Raschid wieder seinen Platz ein. Der Wächter ließ Yazid eintreten.
Über zehn Jahre hatten sich die Halbbrüder nicht gesehen. Raschid hatte Yazid nie anders als hochfahrend, aufrührerisch und heimtückisch erlebt, doch der Mann, der vor sie trat, wirkte in sich gekehrt, sein Blick war gebrochen, sein Haar vor der Zeit ergraut. Yazid fiel vor Boabdil auf die Knie. »Mein Gebieter, ich ersuche Eure Vergebung.«
Raschid meinte, nicht recht zu hören. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sich sein Halbbruder jemals in seinem Leben für etwas entschuldigt hatte, und dies hier ging um einiges darüber hinaus.
Boabdil gebot Yazid, sich zu erheben und zu sprechen.
»Ich bin einem Bild von az-Zagal hinterhergelaufen, dem er nie entsprochen hat. Selbst als er meinen Vater zum Tode verurteilte, habe ich das noch nicht begriffen, aber jetzt ist mir klargeworden, dass az-Zagal nie das Wohl unseres Landes im Sinn hatte, sondern nur die Befriedigung seines Ehrgeizes, während Ihr, mein Emir, immer treu zu unserem Volk gestanden habt. Und deswegen möchte ich Euch und alle hier Anwesenden und vor allem meinen Halbbruder um Verzeihung bitten und Euch in aller Demut meine Dienste anbieten.«
Raschid ahnte weit mehr als jeder andere in dem vollbesetzten Saal, wie schwer Yazid diese Worte fallen mussten, und auch wenn ihm die Erinnerung an das, was er ihm und seiner Familie angetan hatte, wie Messer in den Leib schnitt, war er doch von der Aufrichtigkeit seiner Worte überzeugt. Er merkte, dass Boabdil ihn fragend ansah. Raschid zögerte mit seiner Antwort. Er wusste, dass seine Position bei Boabdil stark genug war, um mit einem einzigen Kopfschütteln Yazids Ende herbeizuführen, aber er wusste auch, dass jetzt der falsche Moment war, um alte Rechnungen zu begleichen. Das hatten die Mauren viel zu lang getan. Also nickte er Boabdil zu. »Unsere Lage ist verzweifelt genug, um über jeden Mann froh zu sein, der für uns eintreten will.«
»So sei es denn«, erklärte Boabdil und erlaubte Yazid, sich zu setzen.
Yazid sah zu Raschid. Auch jetzt lag Reue in seinem Blick und die Bitte um Vergebung. Raschid aber tat, als bemerke er es nicht.
Zum Ende der Versammlung bekräftigten die Weisen und hochgestellten Adligen der Stadt ihren Entschluss, sich geschlossen hinter Boabdil zu stellen und ihn in seinem Kampf gegen die Christen mit all ihrer Kraft und ihrem Vermögen zu unterstützen. Selbst die Kaufleute pflichteten ihnen bei, denn ihnen war bewusst, dass es ohne Granada auch keinen Handel mehr mit den Kastiliern geben würde. Am Abend berichtete Raschid seiner Familie von der Versammlung und erzählte ihnen natürlich auch von Yazid.
»Dass er es wagt!«, empörte sich Zahra. »Und auch dich verstehe ich nicht. Du hättest seinen Kopf fordern müssen!«
»Zahra, du hast diese Flut von christlichen Soldaten in der Vega nicht gesehen. Wir können auf keine Schwerthand verzichten.«
»So schlimm ist es?« Unwillkürlich glitt Zahras Hand zu ihrem Schutzring. »Und wenn Yazid nur hergekommen ist, um uns für die Christen auszuspionieren?«
»Dann werden wir es herausfinden«, erwiderte Raschid. »Nicht zuletzt aus diesem Grund habe ich ihm angeboten, bei uns zu wohnen. So können wir uns am ehesten ein Bild davon machen, wie ernst es ihm mit seiner Reue ist.«
»Er soll bei uns wohnen?« Zahra fröstelte. Sie hatte nicht vergessen, in welch elender Verfassung sie Raschid in der Sklavenschaft vorgefunden hatte oder wie Yazid in der Seidenfarm auf sie und ihren Vater losgegangen war. Stets hatte er versucht, ihren Vater gegen sie und ihre Geschwister aufzubringen. Aber jetzt gab es ihren Vater und auch az-Zagal nicht mehr, vielleicht änderte das wirklich alles.
»Zahra, ich glaube ihm, dass er seine Fehler bereut und nun ganz auf unserer Seite ist«, meinte Raschid, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Unsicher sah Zahra zu ihm, sagte aber nichts mehr.
Es war später Abend, als Zubair ihnen Yazids Ankunft ankündigte. Seiner Miene war anzusehen, dass er Yazid lieber erschlagen hätte,
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