Die Maurin
geblieben war. Er verschränkte die Arme und sah Raschid herausfordernd an. »Christen wie Mauren haben in den letzten Jahrhunderten immer wieder erleben müssen, dass keine Stadt uneinnehmbar ist. Sicher wären wir nur, wenn wir weggingen!«
Raschid schüttelte den Kopf.
Zahra sah Jaime flehend an. »Jaime, uns bleibt doch nichts als dieser Flecken Erde, der letzte, den wir vor den Christen noch haben retten können!«
»Die Welt ist groß. Zum Donner, Zahra, so denk doch auch an die Kinder! Reicht es nicht, was wir in Málaga und auf der Seidenfarm erlebt haben? Bisher sind wir immer mit heiler Haut davongekommen, aber wer sagt uns, dass es diesmal auch so ist? Dieses gigantische Heer der Christen muss sich jetzt nur noch auf Granada und die Vega konzentrieren, und dementsprechend gering sind unsere Chancen!« Er schlug sich mit der Faust in die Hand. »Bei Gott, seid ihr denn alle blind ob dem, was da auf uns zurollt?«
»Ich habe dir schon einmal gesagt«, erwiderte Zahra ruhig, »dass ich es dir nicht verübeln würde, wenn du …«
»Und ich habe dir schon einmal gesagt, was ich mit dir mache, wenn du diesen Satz jemals wiederholen solltest!«, unterbrach Jaime sie zornig. »Zahra, ich habe mein halbes Leben auf Schlachtfeldern zugebracht und bin alles andere als ein Feigling. Aber ich bin sehr wohl in der Lage zu erkennen, wenn eine Situation ausweglos ist!«
Zahra presste die Lippen zusammen und sah auf den Seidenteppich unter ihren Füßen, ihre Schwester und ihre Schwägerin taten es ihr gleich. Raschid erhob sich, ging stumm im Zimmer auf und ab und blieb dann mit einem langen, nachdenklichen Blick vor Jaime stehen. »Ich weiß selbst, dass unsere Aussichten schlecht sind, Jaime, aber solange wir noch etwas haben, wofür es zu kämpfen lohnt, können wir nicht aufgeben. Granada ist das Herz von al-Andalus – und damit auch das unsere.«
»In Ordnung«, brummte Jaime und fuhr sich mit der Linken über Hals und Nacken. »Aber dann nimm mich mit zu Boabdil. Meine Erfahrungen in Fernandos Kompanie könnten euch nutzen.«
Raschid sah ihn erstaunt an. »Willst du damit sagen, dass du an unserer Seite kämpfen willst?«
»Was denn sonst?«, erwiderte Jaime ungehalten, beruhigte sich dann aber und ließ die Arme sinken. »In Málaga habe ich es schließlich auch schon getan, und wenn ich euch nicht zur Flucht bewegen kann, dann muss ich euch wenigstens beistehen!«
Raschid sah ihn an und umarmte ihn.
»Anta fi hurmati.«
Damit stellte er ihn unter seinen Schutz. Zahra wusste, welch große Bedeutung diese Worte für ihren Bruder hatten, und wischte verstohlen eine Träne aus ihrem Augenwinkel. Von nun an war Jaime für Raschid wie ein Bruder.
Zunächst wüteten und mordeten Fernandos Truppen weiterhin nur vor der Stadt. Fast täglich brannten sie einen anderen Ort nieder, zahllose Mauren fanden den Tod, große Gruppen maurischer Gefangener wurden zu den christlichen Sklavenmärkten geführt. Mit dem Mut der Verzweifelten rückte Boabdil mit seinen Truppen immer wieder gegen die Christen aus, und auch wenn sie dem Gegner dabei empfindliche Verluste zufügten, konnten sie dem verheerenden Treiben doch kein Ende setzen. Immerhin brachte ihnen ihr Mut neue Anhänger ein: Von allen Seiten strömten Mauren in die Stadt, um sie bei der Verteidigung zu unterstützen, schließlich schlossen sich ihnen auch die Bergbewohner der Sierra Nevada an, und die maurischen Soldaten in den zuletzt von Fernando eroberten Gebieten Guadix, Baza und Almería wollten ihnen ebenfalls zu Hilfe kommen. Das Volk von Granada schöpfte Hoffnung; mit jedem Tag erwarteten sie die Ankunft ihrer Landsleute. Wie viele andere Familien hatten sich auch die Sulamis bereit erklärt, eine größere Zahl der erwarteten Soldaten bei sich aufzunehmen. Auf dem Markt wurden weitere Teppiche gekauft, um ihnen ein bequemes Lager bieten zu können, und Tamu scheuchte die Dienstboten durch das Haus, damit sie alles auf Hochglanz wienerten und mit dem Vorbereiten von Speisen begannen.
»Tamu, was soll das?«, rügte Raschid sie immer wieder. »Wir erwarten keine verzärtelten Königskinder, sondern Soldaten!«
Die Tage verstrichen, doch die einzigen Soldaten, die in Granada eintrafen, waren die aus der Sierra Nevada.
»Hoffentlich sind die Truppen aus Guadix, Baza und Almería nicht von Fernandos Soldaten abgefangen worden«, murmelte Zahra, während sie unruhig vor dem Fenster im Arbeitszimmer ihres Bruders auf und ab ging.
»Selbst wenn
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