Die Maurin
Fernandos Truppen sie aufgespürt haben, können sie kaum alle gleichzeitig festnehmen«, beruhigte Raschid sie. »Du wirst sehen: In ein paar Tagen sind sie hier!«
Kurz darauf wurde ein Bote angekündigt, der eine Nachricht Boabdils überbrachte. Angespannt sah Zahra zu, wie ihr Bruder das Siegel aufbrach und zu lesen begann.
»Nun sag schon, was Boabdil schreibt«, drängte sie ihn. »Sind die Soldaten endlich da?«
Raschid ließ den Brief sinken und schloss die Augen.
»Raschid, was ist? So rede doch!«
Wortlos reichte er ihr das Schreiben.
»Aber, aber das kann doch nicht sein«, stammelte Zahra entsetzt. »Ein Maure hat die Soldaten an Fernando verraten, einer unserer eigenen Leute! Und Fernando hat …« Die weiteren Worte wollten Zahra nicht über die Lippen kommen.
Raschid rief Jaime und teilte auch ihm die Hiobsbotschaft mit. »Fernando hat Truppen nach Guadix, Baza und Almería geschickt. Unter dem Vorwand, eine Heerschau machen zu wollen, haben die Hauptleute alle männlichen Bewohner dieser Orte auf dem Feld antreten lassen, hernach die Stadttore geschlossen und ihnen mitgeteilt, dass ihr Plan, uns beizustehen, aufgeflogen sei und sie damit das Recht verwirkt hätten, weiter auf ihrem Land zu bleiben. Sie mussten einzeln in die Stadt zurückkehren, ihre Familien holen und auf der Stelle die Region verlassen.« Raschid brach die Stimme.
»Aber dann kommen sie doch gewiss erst recht her«, sagte Jaime, doch Raschid schüttelte den Kopf. »Fernando hat sie gezwungen, das Land zu verlassen.«
Bald wusste jeder in Granada von der Ausweisung ihrer Landsleute aus Guadix, Baza und Almería. Auch zu az-Zagals Truppe drang die Nachricht, und schon wenige Tage später strömten fast tausend seiner Soldaten in die Stadt. Sie hatten sich von az-Zagal losgesagt und wollten nun für Boabdil kämpfen. Mit großem Jubel wurden sie empfangen und in die Häuser einquartiert, die sich auf die Soldaten aus Guadix, Baza und Almería vorbereitet hatten. Die Menschen fassten neuen Mut – zumal sie die Nachricht erreichte, dass az-Zagal aus Wut über die Untreue seiner Soldaten Fernando sein Land verkauft habe, um sich in Afrika niederzulassen. Zusammen mit den fünf Millionen Maradevis, die Fernando ihm für seine verbliebenen Besitzungen gezahlt hatte, und unzähligen Truhen mit seinem Besitz schiffte sich az-Zagal nach Marokko ein. Dort wurde er allerdings anders empfangen als erwartet: Der König von Fès ließ ihn gefangen nehmen. Er warf ihm vor, erhebliche Schuld am Niedergang von al-Andalus zu tragen, beschlagnahmte sein Vermögen, ließ seine Augen mit geschmolzenem Kupfer blenden und schickte ihn in die Verbannung. Az-Zagal schleppte sich zu den Ghumara, den Einzigen, die ihm noch die Treue hielten. Sie versorgten den Erblindeten mit Nahrung und Kleidung und wiesen ihm eine Hütte zu. Auf seinem Gewand soll ein Pergament befestigt gewesen sein, auf dem zu lesen war: »Dies ist der unglückliche König von Andalusien.«
Als Anfang April die christliche Truppe ihr Lager direkt vor Granada aufschlug und die vordere Linie nur wenige Leguas von der Stadtmauer entfernt war, rief Boabdil seinen Rat im Thronsaal der Alhambra zusammen. Während sich der Raum füllte, stand Raschid mit weiteren Beratern am Fenster und beobachtete, wie die christlichen Heerscharen ihre Vega überschwemmten. Niemand von ihnen sagte ein Wort. Es war, als habe ihnen dieser Anblick die Sprache verschlagen.
»Beim Allmächtigen«, stöhnte Raschid schließlich und wandte sich ab. Die Unmenge an christlichen Soldaten konnte in niemandem mehr einen Zweifel daran lassen, welch verzweifeltes, letztes Ringen vor ihnen lag. Als die Sitzung begann, sprach er sich trotzdem gegen eine Übergabe der Stadt aus. »Ich will keine Gnade und keine ehrenvollen Bedingungen, sondern weiter Herr unseres Landes sein!«, erklärte er Boabdil mit fester Stimme.
Die anderen Berater stimmten ihm zu: »Wir werden kämpfen, solange wir den Schwertarm heben können!«
»Aber wie sollen wir gegen diese Übermacht vorgehen?«, wagte Jaime zu fragen. Auf Raschids Bestreben war auch er Mitglied des Rates geworden.
»Mit unserem Mut, unserer Verzweiflung und mit Allahs Hilfe«, erwiderte ihm Raschid.
Jaime hob zweifelnd die Augenbrauen, sagte aber nichts weiter. Im gleichen Moment betrat der wachhabende Soldat den Saal. »Yazid as-Sulami bittet untertänigst, in der Versammlung vorsprechen zu dürfen.«
Mit funkelnden Augen schoss Raschid von seinem Platz
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