Die Maurin
ist«, sagte Leonor.
»Trotzdem bleibt es merkwürdig, dass er gerade an diesem Morgen verschwunden ist«, beharrte Abdarrahman.
»Merkwürdig finde ich nur das geringe Vertrauen, das du zu unserem Sohn hast.« Leonor sah zu ihm auf. »Wirst du jetzt endlich weiter nach ihm suchen lassen?«
Abdarrahman machte eine ausweichende Handbewegung. Leonor griff nach seinem Arm. Ihre zarte Hand wog nicht mehr als ein Schmetterling, aber ihr Griff war fest und ihr Blick entschlossen. »Ich will, dass du weiter nach Raschid suchen lässt. Und wenn du es nicht sofort veranlasst, werde ich ihn selbst suchen gehen!«
»Also gut«, brummte er. »Ich schicke ein paar Männer los.«
Er machte sich auf den Weg und spürte, wie Leonor ihm nachsah.
Wie in allen anderen Häusern der Stadt herrschte auch im Hause Abdarrahman as-Sulamis am Nachmittag und am nächsten Morgen rege Betriebsamkeit. Abdarrahman hatte angeordnet, auch bei ihnen alles für den festlichen Empfang der Truppen vorzubereiten, die gegen Mittag erwartet wurden. Man wollte den siegreichen Soldaten, wenn sie mit ihren Gefangenen in die Stadt einzogen, frittierte Mandelkuchen, Fleischpasteten und andere Köstlichkeiten reichen. Außer dem Küchenpersonal halfen auch Abdarrahmans Töchter beim Kochen, Braten und Backen, und Tamu musste zweimal den öffentlichen Brotbäcker holen lassen, um all die von ihrer Teigbereiterin nach einem alten Hausrezept zubereiteten und mit dem Namen der Familie markierten Laibe in dessen Ofen für sie backen zu lassen. Wie immer durfte dieser für das Backen einige Brote behalten und auf eigene Rechnung verkaufen.
Nach dem Mittagsgebet näherte sich eine Staubfahne der Stadt, und bald hörte man auch den hellen Klang der maurischen Trompeten. Es war trüb und bitterkalt, aber gerade als die maurischen Truppen die Stadt erreichten, schob sich die Sonne hinter den Wolken hervor und verlieh der versilberten Rüstung des Emirs, der als Erster durch das Stadttor einritt, einen erhabenen Glanz. Dicht an dicht drängten sich die Menschen am Straßenrand und stießen und schoben einander, um einen Platz in den vorderen Reihen zu ergattern und den siegreichen Emir aus nächster Nähe zu erblicken.
»Sieg den Mauren, Sieg dem Emir!«, erscholl es von allen Seiten. Eine Woge des Jubels brachte die Stadt zum Erbeben. Eifrige Hände reichten den Soldaten, die ihre Pferde direkt hinter dem Emir durch das Tor lenkten, scharf gewürzte Würstchen, tönerne Gefäße mit Kuskus, Mandelpasteten, frittierte Quarkkuchen und Becher mit Granatapfelsaft oder mit Rosenblüten aromatisiertem Wasser. Als die Soldaten die von ihnen eroberten kastilischen Helme und Rüstungsteile in die Höhe hoben, damit sie auch die Menschen in den hintersten Reihen sehen konnten, erklangen von allen Seiten Hochrufe und Freudengeschrei.
Bald kamen der Emir und seine Soldaten auch an Abdarrahman as-Sulamis Haus vorbei. Während der Hausherr den Siegeszug oben in der Alhambra erwartete, standen die Frauen des Hauses, sittsam verschleiert, vor der Tür und boten den Soldaten von ihren Speisen und Getränken an. Dass ihr Jubel verhaltener als in den Nachbarhäusern ausfiel, bemerkte in dem allgemeinen Taumel niemand. Auch Zahra half beim Verteilen der vielen Brote, Küchlein und Pasteten, doch dann sah sie, wie Hayat immer öfter zu den Nachbarn hinüberblickte, und entdeckte, dass es auch dort jemanden gab, der in seiner Arbeit innehielt und ihre Blicke erwiderte. Es war der neue christliche Sklave der Nachbarn, ein blondgelockter junger Mann mit himmelblauen Augen, dessen muskelgestählte Arme selbst durch die Tunika zu erahnen waren, die man ihm ebenso wie eine Pluderhose als Kleidung gegeben hatte, beides in den typisch dunkelbraunen Farben, die vor allem Sklaven trugen. Warnend stieß Zahra ihre Halbschwester in die Seite.
»Wenn du weiter so hinüberstierst, wird auch Mutter merken, wo deine Augen hinwandern«, zischte sie ihr zu. »Und du kannst dir sicher denken, wie sie das finden wird!«
Hastig sah Hayat zu Boden, aber schon kurze Zeit später linste sie doch wieder zu ihm, und als sich ihr Blick diesmal mit dem des Sklaven kreuzte und ein kleines, durchaus herausforderndes Lächeln seine vollen Lippen kräuselte, bemerkte Zahra, wie Hayats Wangen sich röteten. Erschrocken sah sich Zahra um, ob noch jemand von ihrer Familie wahrnahm, was sich da zwischen ihrer Halbschwester und dem Sklaven abspielte. Schließlich war es im höchsten Maße unschicklich, dass sich
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