Die Maurin
Hayat auf dieses Augenspiel mit dem Sklaven einließ, und sie wusste, dass diesem, sollte jemand seine Blicke bemerken, die Auspeitschung drohte. Zahra trat ihrer Halbschwester auf den Fuß. »Du bringst dich noch um Kopf und Kragen – und ihn vor den Qadi!«
Hayat zuckte zusammen und wandte dem Sklaven endlich den Rücken zu, aber ihre geröteten Wangen und das nervöse Flattern ihrer Augenlider ließen Zahra ahnen, dass er deswegen noch lange nicht aus ihrem Kopf verschwunden war. Immerhin widmete sich ihre Halbschwester für den Moment wieder den
hojaldres
mit Taubenhackfleisch, die sie auf Leonors Geheiß für die Soldaten in handliche Stücke schneiden sollte.
Nach dem Emir und seinen Soldaten zogen nun die Gefangenen an ihnen vorbei. Es war ein unglücklicher Zug von Männern, Weibern und Kindern. Die Menschen waren zu Tode erschöpft, in ihren Augen flackerte wilde Verzweiflung. Wie Vieh trieben die maurischen Soldaten sie mit den Spitzen ihrer Lanzen und derben Stockschlägen vor sich her. Es war gewiss nicht der erste Gefangenenzug, der durch die Straßen Granadas geführt wurde, aber noch nie hatte Zahra bei ihren Soldaten diese kalte Brutalität erlebt und noch nie bei den Gefangenen ein solches Elend. Die wenigsten von ihnen waren der schneidenden Kälte angemessen bekleidet. Viele trugen nur zerrissenes Nachtzeug, als hätte der Überfall sie im Schlaf überrascht. Sie waren von der Kälte ganz blau gefroren und schleppten sich nur mühsam vorwärts. Am ärgsten traf Zahra der Anblick der Frauen, die ihre auf dem Weg erfrorenen Säuglinge mit einer Macht an den Leib drückten, als könnten sie ihnen so neues Leben einhauchen. Als eine junge Frau am Hause Abdarrahman as-Sulamis vorbeikam, welche die Haut ihres nur mit einem dünnen Hemdchen bekleideten Kleinkinds verzweifelt mit den Händen rieb, um es vor dem Kältetod zu retten, drängte sich Zahra nach vorn und legte der Frau und ihrem Kind ihren Umhang um. Die Frau starrte sie mit ungläubigen Augen an und sank auf die Knie. »Habt Dank, gutes Kind«, stammelte sie. »Möge Gott Euch Eure Mildtätigkeit tausendfach vergelten!«
Ein Soldat sprang zu der Frau und stieß sie mit einem Stockschlag weiter. Erschrocken wich Zahra zurück in die Reihen der Ihren und suchte die Nähe ihrer Mutter.
»Wie können unsere Soldaten nur so barbarisch mit den armen Menschen umgehen?«, fragte sie mit erstickter Stimme.
Leonor zuckte hilflos die Achseln und schloss kurz die Augen. Nicht nur sie empfand Mitleid mit den Gefangenen. Königin Isabels Chronist Bruder Antonio Agapida könnte später über den Siegeszug der Mauren geschrieben haben:
»Tief war der Gram und Unwille des Volkes von Granada über diesen greuelvollen Aufzug. Greise, welche die Noth des Krieges erfahren hatten, sahen kommende Verwirrung voraus. Mütter drückten ihre Säuglinge an die Brust, als sie die unberathenen Frauen von Zahara mit ihren Kindern, die in ihren Armen starben, erblickten. Überall mischten sich Klagetöne über die Leidenden mit Verwünschungen über die Rohheit des Königs Hassan. Die Vorkehrungen zu den Festlichkeiten wurden vernachläßigt, und die Speisen, welche die Sieger hatten erquicken sollen, unter die Gefangenen verteilt.«
[2]
Auch Zahras Mutter wies nun ihre Töchter und Dienerinnen an, die Speisen und Getränke nicht nur an die Soldaten zu verteilen, sondern ebenso an die Elenden, die sie vor sich hertrieben. Ihrer aller Hände flogen nur so dahin, um jedem der Gefangenen wenigstens ein Stückchen Brot und etwas Saft zukommen zu lassen. Da ertönte ein gequälter Aufschrei neben ihnen. Zahra wandte den Kopf und sah, wie der Christensklave, mit dem ihre Halbschwester zuvor diese unzüchtigen Blicke getauscht hatte, in der Menge der Gefangenen auf eine Frau zustürzte. Die Alte, ebenso dürftig bekleidet wie ihre Leidensgenossen und mit vielen Schürfwunden im Gesicht und an den bloßen Armen, zeichnete ihm mit dem Daumen ein Kreuz auf die Stirn und rief mit jammervollem Blick: »Gott hat sich von uns gewandt, mein Sohn.«
Ein Soldat schoss auf den Eindringling zu und hieb ihm einen Stock über den Kopf. Der Sklave sackte in sich zusammen und fiel auf das Pflaster. Benommen versuchte er, sich wieder aufzurichten. Der Soldat hob den Stock, um erneut zuzuschlagen, aber da schob sich Hayat zwischen ihn und den Sklaven.
»Wagt es nicht«, hörte Zahra Hayat zischen, und etwas in ihrem hochfahrenden Blick machte, dass der Soldat den Stock tatsächlich
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