Die Maurin
sinken ließ. Hayat reichte dem Sklaven die Hand und half ihm auf. Verwirrt sah er sie an, eine unausgesprochene Frage in den himmelblauen Augen, aber als der Soldat dann statt ihn seine Mutter zu schlagen begann, riss er sich von Hayat los und wollte ihr zu Hilfe eilen. Sofort richteten sich die Lanzen von vier Soldaten auf ihn. Hayat fasste ihn am Arm.
»Ihr könnt jetzt nichts für Eure Mutter tun«, sagte sie leise zu ihm. »Bitte, tretet zurück!«
Er wandte ihr den Kopf zu. Zahra ahnte, dass die bodenlose Verzweiflung in seinen Augen Hayat wie glühende Messerspitzen traf, und betete, dass er endlich mit Hayat mitkam, ehe sie alle noch mehr in Gefahr gerieten.
»Geh mit ihr, Junge, geh!«, rief nun auch die Mutter des Sklaven, woraufhin er sich endlich von Hayat zurück in die Reihen der Zuschauer führen ließ. Dort entriss ihn ihr sogleich sein Herr und prügelte ihn unter wüsten Verwünschungen ins Haus. Hayat wollte ihm nach, aber Zahra packte sie am Arm und zerrte sie durch ihre Haustür.
»Jetzt nimm doch Vernunft an!«, schimpfte sie ihre Halbschwester aus und schob sie hoch in ihr Zimmer. Wie betäubt sank Hayat dort gegen die Wand. »Beim Allmächtigen, was wird sein Herr jetzt mit ihm machen?«
»Du solltest dich lieber fragen, was Vater mit dir tut, wenn er von dem Ganzen erfährt!«, gab Zahra wütend zurück.
»Ich verstehe es ja selbst nicht, aber ich … ich musste ihm einfach helfen. Zahra, seine Blicke – ich konnte sie bis in meinen Bauch hinein spüren!«
Zahra musste an Gonzalo denken und gestand sich ein, dass sie nicht anders als Hayat gehandelt hätte, wäre er anstelle des Christensklaven gewesen. Ihr Ärger auf Hayat wich Verunsicherung. »Aber wenn Vater …«, stotterte sie.
»Zahra, ich … Mir ist so etwas noch nie passiert. Es ist, als hätte er mich mit seinen Blicken verzaubert. Da war plötzlich so ein Flattern in meinem Bauch und ein Tanzen und Kribbeln …« Hayat schlug sich die Hände vor den Mund.
Zum ersten Mal in ihrem Leben stellte sich Zahra ernsthaft die Frage, ob sie denn wirklich auf immer und ewig dazu verdammt waren, ihre Wünsche, Sehnsüchte und Gefühle den Befehlen ihres Vaters unterzuordnen. Hayat hatte in Fès schon so vieles erlitten, und wenn sie an diesen feisten Ibrahim dachte …
Sanft strich sie Hayat über den Arm. »Du weißt doch selbst, wie unsere Gesetze sind, und ich will dich nur schützen!«
»Ich weiß, Zahra, aber trotzdem: Ich muss wissen, wie es ihm geht. Bitte, du musst mir helfen. Nach dem Festzug darf ich wieder nicht das Zimmer verlassen, aber du! Zahra, ich flehe dich an. Finde heraus, was sein Herr mit ihm vorhat!«
Nachdenklich ging Zahra zum Fenster. Wie immer wurde ihr Blick auf die Straße von dem Maschrabiya-Gitter eingeschränkt, und mit einem Mal kam es ihr so vor, als sei ihr ganzes Leben von solchen Gittern umgeben: Frauen durften nur Facetten von dem sie umgebenden Leben sehen, aber nicht an ihm teilhaben.
»Die Leute räumen ihre Tische ab. Es ist wieder ganz ruhig draußen«, versuchte sie Hayat und auch sich selbst zu beschwichtigen. »Sicher hat sich auch unser Nachbar wieder beruhigt.«
»Und wenn nicht?«, rief Hayat und trat neben sie. »Sirhan ist nicht eben bekannt dafür, mit seinen Sklaven zimperlich umzugehen!«
»Ich weiß«, seufzte Zahra. Sie drehte sich zu Hayat um. Angesichts ihres flehenden Blickes konnte sie nur nicken. »Also gut, ich werde mich umhören. Gleich morgen früh!«
Hayat umarmte sie dankbar.
»Leg dich ein bisschen hin«, sagte Zahra, »und ruh dich aus. Ich muss noch einmal in die Alhambra.«
»Aber sonst gehst du doch nur von montags bis mittwochs zu Aischa?«
»Aischa hat mich darum gebeten«, behauptete Zahra und vermied es, Hayat anzusehen. Es war ihr nicht wohl dabei, sie anzulügen. Denn in der Tat hatte Aischa sie keinesfalls aufgefordert, heute noch einmal zu kommen. Trotzdem zog es sie in den Palast. Sie wollte wissen, warum sich die Soldaten so ungebührlich aufgeführt hatten, ob es wirklich keine Neuigkeiten über Raschid gab, wie Hassans weitere Pläne aussahen, es gab so vieles, auf das sie dort oben eine Antwort zu finden hoffte. Und schließlich gestand sie sich ein, dass sie durchaus auch noch etwas anderes antrieb: ein Hauch von Freiheit und Selbstbestimmung, der mit Hayats Gefühlen und ihrem Einsatz für den Christensklaven in ihr Leben geweht war. Vielleicht gab es ja auch für sie noch etwas anderes als die Wege, die ihr Vater und ihr Glaube
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