Die Maurin
begehrte Zahra auf, und auch Leonor widersprach ihm: »Es ist doch auch möglich, dass sie Raschid nur weggelockt haben und mit ihm das Gleiche wie mit Safuan und seinem anderen Begleiter gemacht haben!«
»Aber warum sollten sie? Und wer überhaupt?«
»Das weißt du so gut wie ich«, presste Leonor tonlos hervor.
Abdarrahman schüttelte den Kopf. Seine Wut war einer tiefen Traurigkeit gewichen. »Yazid mag ein Hitzkopf sein, aber das … Nein, niemals! Außerdem hatte er den Emir ohnehin schon für seinen Plan eingenommen. Er hatte keinen Grund mehr, Raschid aufzuhalten. Aber Raschid hatte sehr wohl einen, sich aus dem Staub zu machen.«
»Unser Sohn ist kein Verräter«, beharrte Leonor.
Abdarrahman starrte sie an. »Wir haben keinen Sohn mehr.«
3.
Granada
26 . Dezember 1481
Z wei Wochen später trafen berittene Boten von Zahara in Granada ein. Jedem, den sie in den Straßen trafen, riefen sie ihre frohe Botschaft entgegen: »Wir haben gewonnen. Zahara ist besiegt. Wie haben die verdammten Kastilier zum Teufel gejagt!«
Jubelnde Menschen stürmten in die Moscheen und in den Bazar, liefen von Haus zu Haus, hämmerten gegen Türen und Fenster, und bald waren die engen Gassen der Stadt mit einem einzigen freudigen Taumel erfüllt. Auch an das Haus Abdarrahman as-Sulamis klopfte einer der Freudeboten, der direkt vom Emir geschickt worden war. Er verbeugte sich hastig vor dem Hausherrn und begann sogleich zu sprechen: »Der Emir lässt Euch ausrichten, dass sich Euer Sohn Yazid bei der Eroberung Zaharas große Verdienste erworben hat. Schon morgen Nachmittag werden er und unsere Truppen mit den Gefangenen in Granada eintreffen. Nur ein geringer Teil der Soldaten bleibt in Zahara zurück, um die Festung zu sichern. Der Emir lädt Euch ein, morgen Abend in die Alhambra zu kommen, um mit ihm das Siegesfest zu begehen.«
Abdarrahman nickte dem Boten zu und warf ihm eine Silbermünze zu, die der Mann strahlend auffing. Dann machte er sich auf den Weg zum nächsten Haus, wo er eine ähnliche Botschaft zu überbringen hatte.
Abdarrahman blieb an seinem Schreibtisch sitzen und wartete darauf, dass er die gleiche Erleichterung und Freude wie bei ihren bisherigen Siegen empfand, doch sie wollte sich nicht einstellen. In den letzten Tagen hatte er viel Zeit zum Nachdenken gehabt, und je länger er den Angriff auf Zahara bedacht hatte, desto mehr Zweifel waren ihm gekommen. Ihn beunruhigte der Einfluss, den Menschen wie sein Sohn Yazid, Ali al-Attar und die allzu ehrgeizige Isabel de Solís in den letzten Wochen auf den Emir zurückgewonnen hatten. Müde strich er sich über das Haar, erhob sich und machte sich auf die Suche nach seiner Frau. Er fand sie im Patio, wo sie gedankenverloren Orangen pflückte. Er ahnte, was in ihr vorging: Als Kind konnte Raschid von diesen Früchten nie genug bekommen, und schließlich hatte sie mit ihm diesen Baum dort gepflanzt, dessen Äste sich seither in jedem Winter tiefer unter ihrer süßen Last senkten. Leonor bemerkte ihn erst, als er sie ansprach. Der stumme Vorwurf und die Verletztheit in ihrem Blick schmerzten ihn. Seit dem Abend, an dem er ihr gesagt hatte, dass Raschid für ihn nicht mehr sein Sohn sei, hatte sie ihn nicht mehr anders angesehen und nur noch das Nötigste mit ihm gesprochen. Er fragte sich, ob sie je verstehen würde, dass er nicht anders hatte handeln können, und vermisste die vertrauensvolle Nähe, die bisher zwischen ihnen geherrscht hatte.
»Unsere Truppen haben gesiegt«, sagte er zu ihr und musste sich räuspern.
»Und Raschid? Was … weißt du von Raschid?«
Ihr banger Blick machte ihn wehrlos. Er wusste, dass er ihr ob ihres Unverständnisses für seine Haltung zürnen sollte, aber stattdessen breitete sich in ihm das heftige Verlangen aus, sie an sich zu ziehen und über ihr glänzendes Lockenhaar zu streichen, bis sie in seinen Armen weich und anschmiegsam wurde, doch die Angst, dass sie ihn zurückweisen könnte, hielt ihn davon ab.
»Noch nichts«, erwiderte Abdarrahman mit rauher Stimme. »Aber der Emir hat mich zu dem Siegesfest in der Alhambra eingeladen. Ich nehme deswegen an, dass er … Raschid weder in der Festung noch in den umliegenden Dörfern gefunden hat. Sonst hätte er mich von dem Fest sicher ebenso ausgeschlossen wie von der Schlacht.«
Es war das erste Mal seit dem Morgen, an dem der Soldat ihm von dem Überfall erzählt hatte, dass er Raschids Namen aussprach.
»Ich wusste von Anfang an, dass Raschid kein Verräter
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