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Die Maurin

Die Maurin

Titel: Die Maurin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Korte
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wir anschließend zusammengetrieben und gefangen genommen. Schon im Morgengrauen konnten unsere Trompeten unseren Sieg über die Götzendiener verkünden!«
    Unten im Festsaal quittierten die Gäste Yazids Bericht mit frenetischem Beifall. Als Zahra sah, wie der Emir Yazid mit sichtlichem Stolz die Hand auf die Schulter legte, knirschte sie mit den Zähnen. Nicht ihr Halbbruder hätte jetzt hier von Hassan mit Würden belegt werden sollen, sondern Raschid – und der Beifall der Anwesenden hätte anderen Nachrichten gelten sollen.
    »Die Entschlossenheit und die Furchtlosigkeit, mit der du dein Schwert im Namen Allahs eingesetzt hast, haben gezeigt, wie viel von der Kampfeskraft und dem Mut deines Großvater, des großen Ali al-Attar, in dir steckt!«, lobte Hassan Yazid vor seinen Edlen.
    Erneut erschollen Jubel und vehementer Applaus. Zahra wurde auf einen alten Mann in dem groben Aufzug eines Derwischs aufmerksam, der sich durch die Menge nach vorn schob. Es war ein Santon, einer jener im Volk hochgeachteten heiligen Männer, die ihr Leben in Einsiedeleien mit Fasten, Meditationen und Gebet zubrachten, um zur Reinheit der Heiligen und zum Sehergeist der Propheten zu gelangen. Seine Gestalt war vom Alter gebeugt, aber in seinen tiefschwarzen Augen sprühte weiter das Feuer eines wachen Geistes. Zahra sah, wie er mit größter Selbstverständlichkeit das Podest erstieg, auf dem der Emir thronte. Unbehagen machte sich in Zahra breit, und auch unten im Festsaal und im Patio löste sein Erscheinen Unruhe und Verstörung aus. Die Männer ließen ihre eben noch zum Applaus erhobenen Hände sinken und starrten den Santon mit offenem Mund an. Noch ehe einer von ihnen auf die Idee kam, den heiligen Mann von dort oben wegzuschaffen, fuhr seine Stimme wie Donnerbrausen zwischen die Anwesenden und brachte die letzten Jubelnden schlagartig zum Verstummen.
    »Wehe dir, Granada«, rief er. »Deine Stunde der Vernichtung naht! Zaharas Trümmer werden auf deine Häupter fallen; mein Geist sagt mir, das Ende unseres Reichs ist nah!«
    Grauen erfasste Zahra, ein Grauen, das sie einen Schritt zurückweichen ließ, sie zugleich aber zwang, weiter hinunter in den Festsaal zu blicken. Sie sah, wie auch die Männer dort von einem Beben erfasst wurden. Sie alle hatten schon mit der Muttermilch den tiefen Glauben an die Vorhersagen der Derwische und die Weissagungen der Astrologen in sich aufgesogen. Kaum ein Volk war so abergläubisch wie das der Mauren in diesen turbulenten Zeiten, und so war es kein Wunder, dass sie nun auseinanderstoben, als sei der wahrhaftige Satan zwischen sie gefahren. Die Musiker und Tänzerinnen, Mundschenke und Diener, Brotmeister und Haushofmeister – Zahra sah sie ebenso aus dem Festsaal stürzen wie die vornehmen Herren, höfischen Schmeichler, Faqihs, Wesire und siegreichen Soldaten, auch ihren Vater machte sie unter ihnen aus. Wie allen anderen stand auch ihm die Bestürzung ins Gesicht geschrieben. Binnen weniger Minuten stand der Emir in seinem Festsaal mit einem kleinen Haufen Unerschrockener und dem Derwisch allein da.
    »Du träumst, alter Mann«, sagte er zu ihm mit abgrundtiefer Verachtung in der Stimme. »Deine Worte sind nichts als dummes Geschwätz!«
    Der Derwisch lachte so laut, dass es die Festhalle zu erschüttern schien, und verschwand ebenso geisterhaft aus dem Saal, wie er hineingelangt war.
    Als hätte sich mit seinem Verschwinden der Bann über Zahra gelöst, raffte auch diese nun ihren Hidschab enger um sich und rannte davon. Mit fliegenden Schritten stürzte sie die Treppe hinab, hetzte durch die Patios der Alhambra, hinaus aus dem verwaisten Tor und hinunter in die Stadt. Aber auch in den Straßen Granadas verfolgte der Santon sie noch. Von allen Häuserwänden schien seine Stimme widerzuhallen.
»Der Friede ist gebrochen, der Vertilgungskrieg hat begonnen. Weh, weh, wehe Granada, sein Fall ist nah; Zerstörung wird wohnen in seinen Palästen, seine Starken werden unter dem Schwert fallen, seine Kinder und Jungfrauen in die Knechtschaft geführt werden. Zahara ist nur Vorbild Granadas.«
[3]
    Entsetzt verkroch sich Zahra in eine Hausnische und blickte sich auf der Straße um. Sie sah, dass das gemeine Volk in den Gassen Granadas nicht weniger unter der Prophezeiung des Santons erschauderte als zuvor die feinen Herren oben in der Alhambra, und entnahm den um sie herum erschrocken wispernden Stimmen, dass die meisten die Raserei des Santons als die Eingebungen seines Sehergeistes

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