Die Maurin
betrachteten. Viele flüchteten in ihr Heim, verriegelten Türen und Fensterläden und verbargen sich in ihren Häusern wie in Zeiten allgemeiner Trauer; andere rotteten sich auf dem Platz vor der Moschee zusammen, um mit ihrer Beunruhigung über die düsteren Ahnungen nicht allein zu bleiben. Schließlich blieb Zahra ganz allein in den Gassen Granadas zurück, allein mit der noch immer von allen Wänden widerhallenden Stimme des Santons.
Mit einem Mal meinte Zahra den Fall Granadas schon zu spüren. Der Boden unter ihren Füßen schien zu beben, die Hauswand in ihrem Rücken zu zittern. In panischem Schrecken floh sie weiter, rannte durch die menschenleeren Gassen, in denen ihre eiligen Schritte wie Peitschenhiebe knallten, und erreichte endlich außer Atem ihr Zuhause. Als sie klopfen wollte, fand sie die Tür nur angelehnt vor, was ihr Schauer der Angst über den Rücken jagte. Mit bebendem Herzen eilte sie weiter in den Patio und zum Wohnraum. Als sie die Tür öffnete, fand sie dort ihre Familie und ihre Diener eng beieinandersitzend vor. Sie setzte sich mitten unter sie und vergrub das Gesicht in den Händen.
Oben in der Alhambra aber sprühte der Emir vor neuen Plänen und schickte Gesandte und Faqihs an seine Verbündeten in Afrika, um ihnen mitzuteilen, dass das Schwert gezogen sei und er nun ihre Unterstützung einfordere, um das Königreich Granada und Mohammeds Religion aufrechtzuerhalten gegen die Gewalttätigkeit der Ungläubigen.
4.
Granada
10 . Januar 1482
E in Unwetter brach über Granada herein, als stünde der Untergang schon jetzt bevor. Regen und Sturm, tosendes Donnergrollen und gleißende Blitze stießen auf die Stadt nieder und lehrten die Menschen das Fürchten. »Allah, er ist erhaben, zürnt uns«, wisperte es von allen Seiten. »Der Santon hat recht; der Untergang Zaharas wird unser eigener sein!«
Wenige Tage später preschte ein Maure aus der Stadt Alhama auf seiner dampfenden Stute direkt in die Alhambra. Auch das Volk wusste bald, welch beunruhigende Nachricht er dem Emir zu überbringen hatte: Die Christen hatten aus Rache für den maurischen Sieg über Zahara Alhama angegriffen und erobert. Einzig diesem Mann war die Flucht vor den barbarisch wütenden Christen gelungen. Alle anderen Einwohner der Stadt waren getötet oder gefangen genommen worden.
»Verflucht sei der Tag«, jammerte das Volk Granadas, »an dem die Flamme des Krieges durch den Emir in unserem Land angefacht wurde! Möge der heilige Prophet Zeugnis ablegen vor Allah,
ta’ala,
dass wir unschuldig sind an seinen Taten! Nur auf seinem Haupt und denen seiner Nachkommen ruhe die Sünde der Verheerung Zaharas!«
Den Emir interessierten die Ängste und Unkenrufe seines Volkes nicht mehr als eine Fliege an der Wand. Er zog in der Alhambra und vor der Stadt dreitausend Reiter und fünfzigtausend Fußsoldaten zusammen, um den Christen die Eroberung Alhamas mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Auch Abdarrahman und Yazid sollten mit ihnen ziehen. Zwar war Zahras Vater gegen diesen Rachefeldzug, doch als er Hassan widersprach, wies dieser ihn so erbost aus dem Thronsaal, dass er keinen zweiten Protest wagte.
Wenige Tage vor dem Aufbruch der Truppe bahnte sich endlich die Sonne einen Weg durch die dicken Wolkenschichten und ließ den Patio der Sulamis mit ihrer feurigen Kraft binnen weniger Stunden trocknen, woraufhin Leonor den Mädchen erlaubte, für eine Stunde nach unten zu gehen. Froh, der Eintönigkeit ihres Zimmers zu entkommen, ließen sich Zahra und Hayat in der heimeligen Sitzecke vor der zum ersten Stock hochgehenden Treppe nieder. Mit geschlossenen Augen lagen sie auf den mit dicken Brokatkissen gepolsterten Bänken und genossen das Prickeln der warmen Sonnenstrahlen auf ihren unverschleierten Gesichtern, doch je länger sie lagen, desto unruhiger wurde Zahra. Schließlich setzte sie sich wieder auf und sagte: »Du, Hayat, meinst du, jetzt erfüllen sich die Worte des Santons und wir werden alle untergehen?«
Hayat sah zu ihr herüber. Statt Sorge konnte Zahra in ihren Augen nur seligen Glanz entdecken.
»Du denkst ja immer noch an den Christensklaven«, seufzte sie. »Und ich dachte, seit ich dir erzählt habe, dass er wegen des Vorfalls beim Einzug der Soldaten nur eine ordentliche Tracht Prügel bekommen hat, hättest du ihn endlich aus deinem Kopf verbannt. Hast du denn keine Angst davor, was Vater mit dir anstellt, wenn er hinter deine Gefühle kommt?«
Trotz ihrer mahnenden Worte zog über Hayats
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