Die Maurin
erscholl der Ruf des Muezzins zur
fajr,
dem Morgengebet vor Sonnenaufgang. Zahra und Hayat nickten einander zu. Für alles Weitere war Allah zuständig. Sie erhoben sich, nahmen an der kleinen Waschschüssel in ihrem Zimmer die rituelle Waschung vor, bedeckten die Köpfe mit einem Tuch, zogen ihre Schuhe aus, rollten ihre Gebetsteppiche aus, wandten sich nach Mekka und knieten nieder. Sie senkten die Stirn zu Boden, sprachen ein
salat,
das rituelle Gebet, und baten Allah in einem
du’a
um seinen Beistand für ihr Vorhaben. Anschließend gingen sie nach unten, tranken einen Becher Mandelmilch, aßen ein Stück Brot und baten Leonor, später ins Badehaus gehen zu dürfen.
»Meine Freundin Amina geht heute auch dorthin, und ich würde sie so gern mal wieder treffen«, bettelte Zahra. »Seit sie verheiratet ist und ich so viel Zeit bei Aischa verbringe, sehen wir uns kaum noch. Und nach ihrem Schwächeanfall von gestern täte Hayat ein Besuch im
hammam
sicher auch gut!«
»Eigentlich steht Hayat noch immer unter Hausarrest …« Leonor dachte einen Moment nach und nickte. Sie bat Tamu, die beiden zu begleiten. »Und pack den Mädchen reichlich Essen ein, so können sie zusammen mit Amina im
hammam
zu Mittag essen.« Sie zwinkerte den Mädchen verschwörerisch zu, und Zahra bekam prompt ein schlechtes Gewissen. Sie hoffte, dass ihre Mutter nie herausfinden würde, wozu sie ihre Zeit im Badehaus zu nutzen gedachten …
Als Hayat damit begann, die Kleider zusammenzusuchen, bat Zahra Tamu, ihr beim Zusammenlegen der Tunika zu helfen, die sie nach dem Badbesuch tragen wollte.
»Als ob Ihr das in Eurem Alter nicht schon selbst machen könntet«, grummelte die Alte. »Aber bei Euch muss ja immer alles husch, husch gehen, und so kann das nichts werden. Ach, gebt schon her!«
Während sich Tamu um Zahras Tunika kümmerte, verbarg Hayat rasch das unter ihrem Bettzeug verborgene Werkzeug und die beiden alten Hidschabs und Schleier unter ihren Kleidern.
Auf der Straße empfing sie ein milder Wind. Endlich hatte sich die Kälte der letzten Wochen verzogen und die hell strahlende Sonne auch noch die letzten trüben Wolken vertrieben. Es war ein Morgen, der auch den Hoffnungslosesten noch mit Mut erfüllen musste, und als Zahra und Hayat am Haus und an den Pferdeställen von Miguels Herrn vorbeigingen, tauschten sie einen Blick voller Zuversicht. Angeführt von Tamu und ihren eiligen, kleinen Schritten, ließen sie das Wohnviertel rasch hinter sich und erreichten bald die Randbezirke des
suqs.
Fliegende Händler saßen unter farbenfrohen Sonnendächern, boten mit kehligen Stimmen ihre Früchte, Blumen und Gewürze feil und überzogen die ihrer Nachbarn mit abfälligen Bemerkungen. Ein blinder Bettler streckte den Passanten die Hand entgegen und versprach ihnen die Gunst des Barmherzigen für ein mildtätiges Almosen. Hayat steckte ihm ein paar Münzen zu.
Es roch nach Orangenblüten und Muskat, nach Weihrauch und Pferdeäpfeln, nach Minze und frittierten Küchlein, die an vielen Ständen frisch zubereitet wurden. Die Luft schwirrte vom Zusammenklang des Arabischen, Spanischen, Katalanischen und Venezianischen. Der Stoff der weiten Djellabas eilig vorbeischreitender Männer streifte die Arme der jungen Frauen und gab ihnen ein Gefühl dafür, wie angreifbar sie waren.
Nach ein paar weiteren Gassenbiegungen erreichten sie das öffentliche Badehaus. Zahra war erstaunt, welche Ruhe und Sicherheit ihre Halbschwester ausstrahlte. Es hatte den Anschein, als habe der Schock über Miguels drohende Hinrichtung jede Furcht um ihre eigene Unversehrtheit von ihr genommen. Nur noch eines schien für sie zu zählen, und das war, Miguel zu retten. Zahra dagegen spürte, wie sich ihr Magen vor Aufregung zusammenkrampfte, aber ehe sie es sich anders überlegen konnte, schritt ihnen die
mu’allima,
die Meisterin des Bades, entgegen und hieß sie wortreich willkommen. Zahra reichte ihr das Eintrittsgeld, das sie wie alle besser gestellten Gäste zahlen mussten, dessen Höhe allerdings in ihrem Ermessen lag. Die alte Dame quittierte den Betrag mit einem zufriedenen Niederschlagen der Lider.
»Habt Ihr Wertsachen dabei, die ich für Euch aufbewahren kann?«
Zahra verneinte und wandte sich zu Tamu um. »Wir treffen uns dann später wieder hier.«
»Ich komme nach dem
asr.
Und lasst mich nicht warten, hört Ihr?«
Zahra versprach es und hoffte inständig, dass sie bis nach dem Nachmittagsgebet wieder im Badehaus sein
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