Die Maurin
Natürlich war Meir ein äußerst gutaussehender und sympathischer Mann, aber er liebte es, in völliger Zurückgezogenheit zu leben – während Amina sich nach Unterhaltung sehnte. Selbst die Anwesenheit von Aminas Freundinnen störte ihn, so dass der Besuch im
hammam
oft Aminas einzige Gelegenheit war, unter Menschen zu kommen.
»Nun erzähl endlich«, drängte Amina. »Ich sehe dir doch an, dass du etwas Wichtiges auf dem Herzen hast!«
Mit wenigen Sätzen schilderte Zahra Hayats Bekanntschaft mit dem Sklaven und dessen Flucht und Gefangennahme. Wie sie erwartet hatte, fand Amina Hayats Gefühle für den Sklaven keineswegs anstößig, sondern höchst romantisch und aufregend und bedauerte wortreich, dass nicht auch ihr Mann männliche Sklaven hielt. »Ich glaube, da würde ich auch schwach werden, vor allem, wenn so ein Hübscher mit blauen Augen dabei wäre!«
Zahra musste lachen. »Amina, du bist und bleibst unmöglich!«
»Und wie kann ich euch helfen?«
»Ich brauche den Namen eines Stadttorwächters von dir«, seufzte Zahra. »Vor ein paar Wochen hast du mir erzählt, dass dein Bruder manchmal Waren in die Stadt schmuggelt und dabei ein ganz bestimmtes Stadttor benutzt, weil die Wächter dort einem Trinkgeld nicht abgeneigt sind.«
»Willst du damit etwa andeuten, dass ihr diesen Sklaven befreien und aus der Stadt schaffen wollt?«
Zahra schluckte. »Nun ja, streng genommen ist es wohl genau das.«
Schlagartig wurde Amina ernst. »Zahra, einem Sklaven zur Flucht zu verhelfen ist kein Plätzchenstibitzen. Das kann euch den Kopf kosten!«
»Ich weiß, aber Hayat … Ach, Amina, unser Leben ist so eng und eingeschränkt, und auch ich würde am liebsten …« Zahra biss sich auf die Lippen. Sie wollte Amina durch ihre Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung nicht in noch größere Gewissensnöte bringen. »Hayat wird so oder so alles tun, um Miguel zu retten«, fuhr sie fort. »Und ich kann und will sie nicht alleinlassen!«
»Du tätest ihr einen größeren Gefallen, wenn du sie in deine Kleidertruhe sperrst, bis der Kerl hingerichtet ist«, gab Amina zurück, und Zahra sah ihr an, dass es ihr mit diesem Vorschlag durchaus ernst war.
»Das würde Hayat mir nie verzeihen«, gab sie ebenso ernst zurück.
»Zahra, ich bitte dich, einen Sklaven befreien – so viel Unvernunft brächte nicht einmal ich auf!«
»Aber Hayat eben doch.« Zahra zuckte mit den Achseln. »Und deswegen bitte ich dich, mir die Namen der Wächter zu nennen. Amina, bitte, vielleicht können wir so wenigstens das Schlimmste verhindern!«
Zahra sah, wie ihre Freundin mit sich rang, aber schließlich verriet sie ihr doch, mit Hilfe welcher Wächter ihr Bruder sein Schmuggelgut in die Stadt schaffte und wie viel ihn das kostete. Zahra umarmte sie. »Das vergesse ich dir nie!«
»Ich hoffe nur, du wirst noch lange genug leben, damit dieser Satz auch etwas besagt«, gab Amina seufzend zurück.
Da Zahra jetzt wusste, dass sie an der Puerta de las Armas, dem Waffentor, mit dem Christensklaven aus der Stadt kommen konnten und das Gelingen ihres Unterfangen damit um einiges wahrscheinlicher wurde, konnte sie es kaum mehr erwarten, mit Hayat zur Tat zu schreiten. Um nicht durch ungebührliche Eile aufzufallen, blieb sie noch ein paar Minuten mit Amina und Hayat im
wastani
sitzen, aber dann zog sie sich mit Hayat in den Umkleideraum zurück. Nachdem die Badedienerin ihnen in ihre frischen Kleider geholfen und ihnen ihre Körbe gereicht hatte, gab sie der rundlichen Frau ein angemessenes Trinkgeld und mogelte sich mit Hayat in einem Moment aus dem Eingang, in dem die
mu’allima
mit neu eingetroffenen Badegästen beschäftigt war und ihr Weggehen nicht bemerken konnte.
Auf der belebten Straße sank Zahras Mut. Mit Ausnahme der Nacht, in der sie vor den Verwünschungen des Santons aus der Alhambra geflohen war, war sie noch nie ohne angemessene Begleitung durch die Stadt gegangen. Nur Dienerinnen oder billige Dirnen liefen allein durch die Straßen, und Zahra hatte das Gefühl, von allen Seiten missbilligende Blicke zu ernten – und von einigen Männern sogar lüsterne. Immer enger rückte sie an Hayat heran und war erleichtert, als sie endlich die Trinkwasserzisternen erreichten und in dem leerstehenden Haus verschwinden konnten, in dem sich Hayat schon etliche Male mit Miguel getroffen hatte.
Dort tauschten sie ihre reichbestickten Kleider gegen die alten, schlichten ihrer Dienerinnen.
»Allah,
ta’ala,
steh uns bei«,
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