Die Maurin
murmelte Zahra.
Hayat nickte ihr zu und führte sie auf die Dachterrasse, über die sie gefahrloser und schneller als über die Straße zu dem Haus ihrer Nachbarn zu gelangen hofften.
Sie hatten Glück: Es begegnete ihnen keine Menschenseele. Als sie die Dachterrasse der Nachbarn erreicht hatten, spähten sie in den Hof hinunter. Dort balgten sich zwei junge Hunde um einen alten Knochen, ein schwarzer Sklave reparierte die gebrochene Achse eines Handkarrens, und ein hochgeschossener Stallbursche besserte im Sonnenschein Zaumzeug aus.
»Gibt es von der Terrasse aus keinen direkten Weg in den Stall?«, fragte Zahra. »Solange die beiden Männer da unten sind, können wir jedenfalls nicht von hier runter!«
»Gleich ist Essenszeit. Sicher werden sie dann reingehen«, beruhigte Hayat sie.
Zahra wischte sich über die Stirn. Die Sonne brannte heiß auf sie nieder, und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. »Aber was sollen wir tun, wenn wir hier hinuntersteigen und dann jemand aus dem Haus oder in den Hof kommt?« Zahra erschien ihr Vorhaben auf einmal noch viel gewagter als während ihrer Planung auf ihrer Schlafstatt. »Hayat, ich weiß nicht. Wenn wir erwischt werden …«
»Wenn du es dir anders überlegst, bin ich dir nicht böse. Aber ich gehe hier nicht weg, ehe ich nicht alles versucht habe, um Miguel da rauszuholen!«
Zahra stieß einen Schwall Luft aus, rührte sich aber nicht von der Stelle. Eine Magd trat aus dem Haus, holte aus dem Brunnen einen Eimer Wasser, sprach einen Moment mit dem Stallburschen und ging zurück. Zahra schnaubte. »Hayat, das kann nicht gutgehen!«
Hayat reagierte nicht, sondern sah nur wie hypnotisiert zu dem Stall. Zahra sagte nichts mehr. Kurz darauf rief die Magd vom Haupthaus zwei Namen. Sofort erhoben sich der Sklave und der Stallbursche und gingen ins Haus.
»Na also«, rief Hayat. »Jetzt gehen sie essen.«
»Hoffen wir es«, murrte Zahra, folgte aber Hayat zu der schmalen Treppe, die von der Terrasse hinunterführte.
Lautlos huschten sie über den Hof und schlichen in den Stall. Im ersten Moment sah Zahra in der dort herrschenden Düsternis nur Schemen. Zu ihrer Rechten und Linken machte sie ein halbes Dutzend Pferdeboxen aus und entdeckte schließlich im hinteren Bereich eine verschlossene Tür, hinter der sie die Sattelkammer vermutete. Das Pferd in der ersten Box hob den Kopf und schnaubte. Zahra strich dem Tier beruhigend über die Nüstern. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte sie neben der Sattelkammertür ein Bündel am Boden und machte Hayat darauf aufmerksam. Sofort lief Hayat hin und stieß einen erstickten Schrei aus. »Miguel! Was haben sie mit dir gemacht?«
Zahra eilte ihr nach. Reglos und wie weggeworfen lag Miguel in der Ecke zwischen ausgemistetem Stroh und leeren Wasserkübeln. Er war ohne Bewusstsein. Über seiner rechten Augenbraue klaffte eine eitrige, von Fliegen übersäte Platzwunde, das darunterliegende Auge war bis zur Unkenntlichkeit zugeschwollen und auch das übrige Gesicht von Schlägen gezeichnet. Über seinem unbekleideten Oberkörper lag eine zerrissene Tunika mit großflächigen, blutrot glänzenden Flecken. Hayat hob sie an. Tiefe, wie mit Messern geschlagene Wunden klafften auf Rücken und Oberarmen. Unwillkürlich sog Zahra die Luft ein. »Beim Allmächtigen! Haben sie ihn etwa bei jedem Auspeitschen dermaßen grauenhaft zugerichtet?«
Hayat nickte und biss die Zähne zusammen. Zahra überkam die vage Erinnerung, ganz ähnliche Verletzungen vor kurzem schon einmal gesehen zu haben. Ja, letzte Nacht im Traum, schoss es ihr durch den Kopf, und da stand ihr alles wieder vor Augen. Aber in ihrem Traum hatte sie nicht Miguel gesehen, sondern Raschid, und er hatte die Hand nach ihr ausgestreckt und ihren Namen gerufen … Verwirrt strich sich Zahra über die Augen. War dies in der Tat nur ein Traum gewesen, oder brauchte Raschid wirklich ihre Hilfe?
»Zahra, schau!«
Zahra fasste sich und blickte zu der eisernen Fessel an Miguels Fuß, auf die Hayat zeigte.
»Das war ja nicht anders zu erwarten«, murmelte sie und verfolgte den Lauf der Kette, die an der Fessel festgeschmiedet war. Sie endete in einem stabilen Vorhängeschloss, das an einem in die Wand eingelassenen Eisenring befestigt war. Zahra ruckte an der Kette. Der Eisenring in der Wand bewegte sich keinen Deut. »Den bekommen wir niemals mit unserem Hammer und dem kleinen Meißel heraus. Außerdem würde das zu viel Lärm machen!«
Hayat
Weitere Kostenlose Bücher