Die Maurin
Pferd hochzugehen – und im gleichen Moment durchfuhr Zahras Schulter ein so scharfer Schmerz, dass ihr schwarz vor Augen wurde. Wie mit tausend Messern bohrte er sich tiefer und tiefer in ihre rechte Schulter und stach von dort in den ganzen Körper.
»Zahra, du hast es geschafft! Der Eisenring ist raus!«
Hayats Worte klangen wie aus großer Entfernung zu ihr. Nah und gegenwärtig war ihr nur der Schmerz, der von ihrer Schulter in Wellen durch den ganzen Körper schoss. Zahra biss die Zähne zusammen und sah auf. Sie hatte die Zügel noch immer fest um den Arm und die Mähne in der anderen Hand. Die Stute spielte zwar nervös mit den Ohren, stand jetzt aber ganz ruhig. Bang blickte Zahra zu Miguel. Das Pferd hatte ihn trotz der herausgerissenen Kette kaum einen Meter mitgezogen. Als die Stute mit ihrem Kopf hochruckte, schoss eine neue Schmerzwelle durch Zahras Schulter. An ihrem Rücken rann Schweiß herab.
»Hayat, komm her«, stöhnte sie.
Eilig lief Hayat von vorn um das Pferd herum. »Mein Gott, Zahra, du bist ja weiß wie eine Wand! Was ist mir dir?«
»Ich weiß nur, dass es unglaublich weh tut und ich meinen rechten Arm nicht mehr bewegen kann. Du musst mir aus den Zügeln helfen.«
Mit misstrauischem Blick auf die Stute trat Hayat näher an Zahra heran.
»Rede mit dem Pferd, damit es ruhig bleibt und nicht den Kopf hochreißt«, keuchte Zahra.
Hayat folgte ihrer Anweisung. Obwohl sie die Zügel sehr vorsichtig von Zahras Arm und Hand wickelte, stöhnte diese immer wieder auf. Endlich war Zahras Arm frei.
»Und?«, fragte Hayat besorgt.
Behutsam legte Zahra ihren Arm an die Brust und versuchte, ihn dort zu stabilisieren. Der Schmerz war höllisch und trieb ihr die Tränen in die Augen. »Ich glaube, ich habe mir die Schulter ausgekugelt.«
»Aber du musst mit Miguel zum Stadttor reiten!«
Zahra schüttelte den Kopf. »Das musst du übernehmen.«
Hayat riss die Augen auf. »Aber Zahra, so schlecht, wie ich reite, und dann noch mit Miguel auf dem Pferd und …«
»Du musst!«, keuchte Zahra. »Und jetzt sattle das Pferd ab. Zu zweit passt ihr nicht in den Sattel.«
Zahra ging zu Miguel und fragte ihn, ob er allein aufstehen könne. Miguel schüttelte den Kopf und wiederholte, dass er nicht wolle, dass sie sich seinetwegen in Gefahr brachten. Zahra ließ ihn reden und befahl Hayat, Miguel die mitgebrachte Tunika und den Turban anzuziehen. »Beeil dich. Die Leute werden nicht ewig essen!«
Zahra ging ans Tor und spähte hinaus. Noch war niemand im Hof zu sehen. Trotzdem blieb sie unruhig. Sie waren ihrem Ziel jetzt so nah …
»Hayat, kannst du denn nicht schneller machen?«
Endlich war Miguel angezogen. Trotz der höllischen Schmerzen in ihrer Schulter half Zahra Hayat dabei, Miguel auf die Füße zu stellen und zum Pferd zu bringen. Bei jedem zweiten Schritt sackten ihm die Beine weg, aber schließlich hatten sie ihn doch in der richtigen Position vor dem Pferd.
»So, und jetzt hoch mit ihm!«
Doch ihr Versuch, ihn aufs Pferd zu hieven, misslang jämmerlich, zumal Zahra kaum mithelfen konnte.
»Das wird so nichts, Hayat, warte!« Zahra sah sich um. Ihr Blick fiel auf den Sattel. Sie ließ Hayat noch zwei weitere holen und übereinanderstapeln. So gelang es ihnen schließlich, Miguel aufs Pferd zu setzen.
»Jetzt liegt alles Weitere an dir!« Zahra steckte Hayat den Ring an, den sie für die Bestechung des Stadttorwächters vorgesehen hatten, umarmte sie mit ihrem unverletzten Arm und hätte sie am liebsten nicht wieder losgelassen, aber die Zeit drängte.
Hayat setzte sich vor Miguel aufs Pferd. Sorgfältig verbarg sie die Kette von Miguels Fußfessel unter ihrem weiten Umhang und nickte Zahra zu. Da rutschte Miguel seitlich vom Pferd. Hayat konnte ihn gerade noch auffangen. Bei ihrem Bemühen, ihn aufzusetzen, kam Miguel wieder zur Besinnung. »So lasst mich doch endlich und geht«, stöhnte er. »Wir werden es nicht schaffen!«
Zahra blickte zu Hayat, doch die schüttelte den Kopf. »Ihr müsst Euch nur gut an Hayat festhalten«, sagte sie zu Miguel. »Schlingt Eure Arme fest um ihre Hüfte!«
Die verlegene Unsicherheit, mit der Miguel ihrer Aufforderung nachkam, verriet Zahra, dass ihr beider Verhältnis noch weit keuscher war, als sie angenommen hatte. Sie schämte sich, dass sie Hayat insgeheim schon mehr unterstellt hatte, und war gleichzeitig erleichtert, sich geirrt zu haben.
»Ich öffne euch jetzt das Tor.« Zahra sah Hayat eindringlich an. »Und dann reitest du los,
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