Die Maurin
holte einen Eimer Wasser und benetzte Miguels Stirn. »Mein Gott, er glüht ja!«
»Ja, er scheint hohes Fieber zu haben, aber wir müssen ihn wach bekommen. Vielleicht hat er eine Idee, wie wir ihn von der Kette befreien können.« Sie rüttelte ihn behutsam an der Schulter. »Miguel, Miguel, hört Ihr mich? Wo finden wir hier Werkzeug?«
Als er nicht antwortete, lief Zahra zur Sattelkammer und rief Hayat zu, dass sie weiter versuchen solle, Miguel zur Besinnung zu bringen. »Kipp ihm notfalls einen Kübel Wasser über!«
Da Hayats sanftere Versuche keine Wirkung zeigten, folgte sie schließlich Zahras Rat. Als das Wasser über seine Wunden rann, wimmerte Miguel auf.
»Miguel«, rief Hayat flehend. »Du musst zu dir kommen!«
Blinzelnd öffnete er sein unversehrtes Auge. »Hayat …« Er versuchte, die Hand nach ihr auszustrecken. Hayat ergriff sie und drückte sie an ihr Herz. »Ganz ruhig, Miguel, wir holen dich hier raus!«
Als sie versuchte, ihn aufzusetzen, verzog Miguel schmerzhaft das Gesicht. »Geh, Hayat, geh weg von hier«, stöhnte er. »Wenn sie dich hier finden …«
Hayat schüttelte den Kopf und strich ihm das Haar aus der Stirn.
Zahra kehrte mit einem Stemmeisen zurück. »Damit schaffen wir es vielleicht …«
Als Miguel sie sah, flehte er auch sie an, wegzugehen. »Ihr könnt nichts für mich tun, und ich will nicht, dass ihr euch in Gefahr bringt!«
Zahra nickte, als sei sie mit ihm einer Meinung, ging aber trotzdem mit dem Stemmeisen zur Wand und bat Hayat, ihr zu helfen. Mit vereinten Kräften versuchten sie, das Vorhängeschloss aufzubrechen, doch es fehlte ihnen an Kraft oder Geschicklichkeit, und auch die Kette widerstand all ihren Versuchen. Miguel bat sie erneut zu gehen. »Sie werden euch am nächsten Baum aufknüpfen, wenn sie euch hier erwischen!«
»Sagt uns lieber, was wir tun können, um Euch von dieser verdammten Kette zu befreien!«, knurrte Zahra ihn an und warf das nutzlose Stemmeisen ins Stroh. Dabei fiel ihr Blick auf einen Nagel. Sie hob ihn auf, schlug seine Spitze mit dem Hammer ein Stück weit um und steckte ihn in das Vorhängeschloss.
»Hast du das schon einmal gemacht?«, fragte Hayat.
Zahra schüttelte den Kopf. Als ihr Versuch misslang, veränderte sie die Neigung der Nagelspitze, aber auch so bekam sie das Schloss nicht auf.
»So geht doch endlich!«, flehte Miguel.
Zahra warf den nutzlosen Nagel neben das Stemmeisen und drehte sich um. Verdammt, dachte sie, es muss hier doch irgendetwas geben, was uns dabei helfen kann, Miguel von der Kette loszubekommen! Als sie Pferdenüstern im Rücken spürte, fuhr sie mit blitzenden Augen herum. »Das ist es!«
Sofort machte sie sich daran, die kräftige, kleine Araberstute zu satteln und aufzuzäumen.
»Was hast du vor?«, rief Hayat.
»Hol mir einen dicken Strick aus der Sattelkammer«, entgegnete Zahra. »Den stabilsten, den du finden kannst!«
Hayat lief los und brachte das Gewünschte. Zahra band das eine Ende am Sattel und das andere am Eisenring fest und blickte dann zu Hayat. »Ich zähle jetzt bis drei, und dann klatschst du dem Pferd mit voller Wucht auf die Kruppe. Mit ein bisschen Glück prescht es heftig genug vor, dass dabei der Eisenring aus der Wand reißt!«
»Aber das Pferd wird Miguel an der Kette hinter sich herschleifen!«
»Ich werde es schon irgendwie halten können.« Zahra sah zu dem Pferd auf und hoffte inständig, dass ihr dies wirklich gelingen würde, denn ihr war klar, dass Miguels Herr sich andernfalls dessen Hinrichtung sparen konnte – eine Schlitterpartie im Stall hinter einem durchgegangenen Pferd würde Miguel in seinem Zustand kaum überleben.
»Zahra …«
»Wir haben keine Wahl«, fiel Zahra ihrer Halbschwester ins Wort. Sie blickte zu Miguel. Er schloss ergeben die Augen. Zahra sah, wie sich sein Körper verkrampfte, und konnte ihn gut verstehen: Sie hätte jetzt nicht an seiner Stelle sein wollen. Sie atmete noch einmal tief durch und stellte sich dicht neben die Stute. Obwohl das Tier nicht sehr groß war, überragte Zahra seinen Widerrist kaum. Sie verbot es sich, darüber nachzudenken, was alles schiefgehen konnte, schlang die Zügel fest um ihren rechten Arm, krallte ihre linke Hand in die Mähne der Stute und fing zu zählen an: »Eins, zwei, DREI !«
Auf Hayats Schlag hin machte das Pferd einen gewaltigen Satz nach vorn. Zahra wurde mitgerissen, stemmte sich dann aber in den Boden und riss mit aller Kraft die Zügel zurück. In seiner Panik versuchte das
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