Die Maurin
als sei der Teufel hinter dir her. Sieh nicht zur Seite und nicht hinter dich, sondern reite drauflos – was auch passiert!« Zahra sah, wie Hayat die Hände in die Zügel und zusätzlich in die Mähne der Stute krallte.
»Es wird schon gutgehen«, versuchte Zahra ihrer Halbschwester Mut zu machen, obwohl sich auch ihr Magen vor Angst zusammenkrampfte. »Pass auf dich auf, hörst du? Ich warte dann wie besprochen in dem leeren Haus an der Trinkwasserzisterne auf dich!«
Hayat nickte und presste die Lippen zusammen. Zahra blickte zu Miguel. »Seid Ihr bereit?«
»Ich werde es mir nie verzeihen, wenn Hayat etwas zustößt«, machte er einen letzten Versuch, die beiden Frauen doch noch von ihrem Rettungsversuch abzubringen.
Zahra schleppte sich ans Tor. Nach einem raschen Blick in den Hof, in dem dank Allahs Fügung noch immer alles ruhig war, öffnete sie die beiden Torflügel. Hayat ließ das Pferd vorgehen und wollte es gerade antreiben, als der Stallbursche aus dem Haus trat. Entsetzt zog Hayat die Zügel an.
»Und jetzt?«, rief sie mit erstickter Stimme zu Zahra.
»Jetzt reitest du um euer Leben!« Mangels einer gebrauchsfähigen Hand trat Zahra der Stute so fest gegen das hintere Bein, dass das Tier vor Schreck aus dem Stand angaloppierte.
Als der Stallbursche die Stute aus dem Stall schießen sah, rannte er los und versuchte, dem Pferd den Weg abzuschneiden. Zugleich brüllte er aus Leibeskräften: »Ravi, Shahid, schnell, der Sklave türmt!«
Die Stute versuchte dem Stallburschen auszuweichen, geriet dabei auf dem Pflaster im Hof ins Schlittern, woraufhin auch Hayat und Miguel aus dem Gleichgewicht gerieten und aufschrien. Der Stallbursche fasste nach dem Zügel, verfehlte ihn um kaum einen Fingerbreit, versuchte es erneut, aber da fing sich das Pferd und galoppierte weiter, und auch Hayat und Miguel fanden ihren Halt wieder. In rasantem Tempo schoss das Pferd aus dem Hof und bog in die Straße ein. Hastig verbarg sich Zahra in einer der Pferdeboxen. Draußen schwoll Lärm an. Immer mehr Männer und auch einige Frauen schrien im Hof durcheinander.
»Beim Allmächtigen, wir müssen ihn fassen!«
»Der Herr bringt uns um, wenn wir ihn entwischen lassen! Wir müssen hinterher, los, zu den Pferden!«
Zahra verkroch sich unter der Futterkrippe und hörte die Männer in den Stall kommen.
»Los, zum Satteln bleibt uns keine Zeit. Legt nur Zaumzeug an und dann hinterher. Sie wollen garantiert zum Stadttor; wir müssen uns aufteilen. Ravi, du nimmst die Puerta de Justicia, Shahid die Puerta de las Armas, Amar das nördliche Tor. Na los, schneller!«, brüllte einer der Männer – und schon wenige Atemzüge später galoppierten vier Pferde aus dem Hof. Die zurückgebliebenen Diener redeten aufgeregt durcheinander. Aus Angst, dass einer von ihnen sie entdecken könnte, wagte Zahra kaum zu atmen, doch nach einer Weile zogen sich alle ins Haus zurück. Da wurde es ganz still um Zahra, so still, dass sie ihr eigenes, noch immer wild klopfendes Herz zu hören meinte. Sie merkte, dass sie zitterte. Erst da gestand sie sich ein, in welcher Gefahr sie geschwebt hatten. Schluchzer quollen in ihr auf, die so heftig waren, dass sie diese nicht unterdrücken konnte. Zahra presste ihren Umhang vor den Mund, damit sie nicht doch noch jemand hörte.
Ich muss hier weg, ehe sie zurückkommen, sagte sie sich immer wieder, und endlich gelang es ihr, sich zu fassen. Als sie sich erhob, fuhr ihr ein heißer Schmerz in die Schulter und von dort durch den ganzen Körper, und ihr wurde bewusst, dass sie mit dieser Verletzung niemals über die Dächer zurückgehen konnte, wo so manche Brüstung zu überwinden war. Wie einfach wäre es gewesen, direkt nach Hause zu gehen, es waren ja nur wenige Schritte, aber ihr war klar, in welche Schwierigkeiten sie vor allem Hayat damit gebracht hätte. Wie sollte sie ihren Aufzug erklären? Und Hayats Verschwinden? Außerdem würde Hayat sie in dem verlassenen Haus an der Trinkwasserzisterne erwarten – und Tamu sie beide später im Badehaus. Sie stabilisierte den Arm am Körper und schlich auf die Straße. Bei jedem Schritt flammte in ihrer Schulter ein scharfer Schmerz auf, so dass sie immer wieder innehalten und Luft schöpfen musste. Eine Ewigkeit schien ihr vergangen zu sein, bis sie endlich den Zisternenplatz erreichte. Um diese Tageszeit herrschte dort reger Betrieb. Viele Dienerinnen und Sklavinnen holten Wasser zum Putzen und Spülen, andere hatten diese Arbeit schon hinter sich
Weitere Kostenlose Bücher