Die Maurin
um den allzu mager ausgefallenen Nachtschlaf nachzuholen. Zahra stieß ihre Halbschwester an und gab ihr zu verstehen, dass sie etwas mit ihr bereden müsse. Sobald die anderen tief schliefen, hüllten sie sich in ihre Hidschabs, schlichen aus dem Haus und zogen sich in eine Seitenstraße zurück.
Als Zahra Hayat erzählte, dass sie Miguel unter den Gefangenen entdeckt hatte, wurde diese leichenblass. »Mein Gott, wenn der Sohn unseres Nachbarn ihn entdeckt …« Sie wagte nicht, den Satz zu Ende zu bringen.
»Ich habe Miguel schon vor ihm gewarnt«, versicherte Zahra ihr rasch, »und ich denke, in der Nacht werden wir eine Möglichkeit finden, um ihn von dort wegzubringen, aber zuerst brauchen wir ein Versteck. Und dann gibt es da noch ein Problem …« Stockend erzählte Zahra Hayat von Gonzalo. »Auch ihn müssen wir befreien, wenn er überhaupt bis dahin überlebt.«
»Ist das der Mann, von dem du mir neulich erzählt hast und dessen Namen du mir nicht nennen wolltest?«
Nach einem Zögern nickte Zahra. »Er ist so anders als … als die Männer, die ich bisher kennengelernt habe.« Sie vermied es, dabei an Ibrahim zu denken.
Hayat drang nicht weiter in sie. »Am besten gehen wir gleich los, um uns nach einem Versteck umzusehen. Mutter, Tamu und Zainab werden nicht ewig schlafen!«
Zahra sagte sich, dass die Leute bei dem Schlachtengewirr vor den Toren der Stadt sicher Wichtigeres zu tun hatten, als auf zwei junge Frauen zu achten, die ohne die gebotene Begleitung durch die Gassen streiften, und nickte Hayat zu. »Ja, lass uns gehen!«
Während sie auf der Suche nach einem Versteck durch ihr Wohnviertel streiften, dachte Zahra laut darüber nach, wie man die Männer befreien könne. »Von dem Seil können wir sie leicht mit einem guten Messer abschneiden. Sorgen bereiten mir nur die Wachen. Wenn sie uns erwischen …« Sie hob vielsagend die Augenbrauen. »Zu schade, dass wir keine Kräuter haben, mit denen wir sie für ein paar Stunden ins Reich der Träume schicken könnten!«
Hayat nickte. »Wir müssen eben ganz leise und vorsichtig sein. Mit der Hilfe des Allmächtigen wird es uns auch so gelingen. Es muss einfach!«
Als sie um die nächste Ecke bogen, fiel ihnen ein unbewohntes Haus ins Auge. Die Eingangstür hing schief in der Angel und ließ sich nach einem kräftigen Ruck öffnen. Das Haus war noch kleiner als das ihre. An Möblierung gab es nur einen niedrigen, dreibeinigen Tisch, der wie vergessen an der Wand lehnte. Zahra und Hayat sahen sich an und nickten. Ja, hier könnten sie Miguel und Gonzalo unterbringen.
»Und jetzt sag mir, wo Miguel ist!«
Zahra schüttelte den Kopf.
»Aber ich will doch nur wissen, ob er etwas braucht!«
»Hayat, so begreif doch, dass wir auch Miguel in Gefahr bringen, wenn wir uns ihm am helllichten Tag nähern! Muss ich dich wirklich daran erinnern, dass die Verbindung zwischen einer muslimischen Frau und einem Kafir, einem Ungläubigen, nach unseren Gesetzen verboten ist? Ist dir nicht klar, in welche Lage du dich bringst, wenn jemand auch nur das Geringste von einer Beziehung zwischen dir und Miguel ahnt? Glaub mir, es gibt derzeit nichts, was du für Miguel tun kannst. Wir müssen die Nacht abwarten.«
»Dann lass ihn mich wenigstens von weitem sehen!«
Doch Zahra ließ sich nicht umstimmen. Entschlossen packte sie ihre Halbschwester am Arm und ging zurück zu ihrem Häuschen. Noch nicht einmal vor sich selbst wagte sie sich einzugestehen, dass sie in Wahrheit eine ganze andere Angst davon abhielt, jetzt bei den Gefangenen vorbeizugehen: die Angst nämlich, dass es Gonzalo noch schlechter ging und sie untätig zusehen musste, wie er vor ihren Augen starb.
Immer wieder schoben sich dicke Wolken vor den Mond; in den Gassen war es stellenweise so dunkel, dass sich Zahra und Hayat an den Händen fassten, um sich nicht zu verlieren. Doch sie waren dankbar für den Schutz der nächtlichen Schwärze. Als sie den weitläufigen Platz mit den Gefangenen erreichten, lauschten sie auf die Wachen und meinten, ein leichtes Schnarchen zu hören. Da öffnete sich die dicke Wolkendecke, so dass nun ein wenig Licht zu ihnen fiel. Behutsam tastete sich Zahra zu Gonzalo vor. Als sie ihn gefunden hatte, legte sie ihm die Hand auf die glühende Stirn. Er war bewusstlos, aber Zahra war in diesem Moment nur wichtig, dass er überhaupt noch lebte. Zahra sah zu den Wachen. Sie schliefen tief und fest. Danach ging ihr Blick zu Hayat, die vor Miguel kniete und ihn
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