Die Maya-Midgard-Mission
Schuhen, Staub an der Hose und einer Vision von Licht zurück, sowie dem Rat, nun bei Ihnen Rat zu suchen, was, wie ich gestehe, mir schwer und noch weniger ge-fällt. Die Zeitungen sprechen davon, dass ich sterbe. Das ist falsch. Ich würde so etwas niemals in meinem Leben machen. Wenn es mir auch nicht ausgesprochen gut geht, so bin ich doch noch nicht so krank, um einen Leichenbestatter in Erregung zu versetzen. Will sagen: Wohin kann Ihr Rat mich tragen? Und womit könnte er leere Ewigkeiten füllen? Mit Licht vielleicht? Kann er überhaupt etwas füllen, außer die Gedanken eines alten Mannes mit hohlem Klang?
Ergebenst
MARK TWAIN'
Ambrose Bierce lies den Brief sinken und betrachtete nachdenklich die Zeitungsnotiz vom 24. Juni 1909. Mark Twain hatte eine Herzattacke erlitten, und die Zeitung spekulierte über seinen Zustand, zumal auch seine Tochter unheilbar erkrankt zu sein schien. Vielleicht sollte er einen alten Groll begraben und dem Wunsch eines Mannes nachkommen, der trotz seines Ruhmes nicht besser dran war als er selbst. Also nahm er einen Briefbogen und schrieb einen einzigen Satz: "Gehen Sie in die Karibik – der Photograph nannte die Insel: Aurora!"
Verdammt, vielleicht würde er eines Tages selbst dorthin gehen. Ein ungesunderes Klima als in Washington würde da unten bestimmt auch nicht herrschen.
USA, WASHINGTON, 1. Oktober 1913
Liebste Joe!
Ob es das gewesen sein soll?
Der Traum ist aus, das tolle Spiel. Bedeckt mit Kratzern und mit Wunden hast du's erreicht, das goldne Ziel, erreicht und als ein Loch gefunden. Sicher, du magst sagen: »Der Mann ist noch nicht genügend geübt im Ertragen von Leid.« Aber stimmt das? Nein, es ist falsch. Falsch, ganz und gar falsch! Wir nennen das Wissen Trost, dass ein besserer Mensch schlechter dran ist als man selber. Mollie ist tot. Und Day. Und Leigh. Sie waren bessere Menschen als ich einer bin. Aber geht es ihnen jetzt schlechter? Ich will es wissen, ich muss es wissen, und ich werde es schon bald wissen. Ich gehe nach Aurora.
Für die Reporter, die Zeitungen und die Nachwelt begebe ich mich nach Mexi ko. Ein Gringo in Mexiko sein – o was für ein gnädiger Tod. So etwas in dieser Art werde ich den Schwachköpfen von der Klatschpresse erzählen. In welchem mexikanischen Hafen mein Schiff in See stechen wird, werde ich Ihnen natürlich verschweigen. Wir beide wissen, dass dies eine Welt der Narren und Schurken ist, blind vor Aberglaube, gequält von Neid, verzehrt von Eitelkeit, selbstsüchtig, falsch, grausam, geplagt von Illusionen – schäumend vor Wahnsinn. Kannst du es mir verdenken, dass ich mir zuletzt noch ein ansehnliches Stück dieses diabolischen Claims sichern will?
Wenn Duc Dich nicht so dringend brauchte, würde ich sagen: nimm den Hut und komm mit! Dank Dir für die Freundschaft und für vieles andre! Hiermit ein Lebewohl als Abschluss eines erfreulichen Brie fwechsels! Du musst mir meine Dickköpfigkeit verzeihen, dass ich nicht umkommen will, wo ich jetzt bin. Ich möchte irgendwohin, wo etwas Lohnendes im Gange ist. Was in Eurem Land im Gange ist, finde ich überaus widerlich. Nein, ich bin kein Egoist. Das ist ein unfeiner Mensch, dessen Interesse für sich selbst größer ist als das für mich. Ich kann also keiner sein. Ich bin ein Menschenfreund. Du weißt das wie niemand sonst, Joe. Du verstehst wie keine andere, dass ich die Verlässlichkeit des Menschentiers schätze, mit dem es mir jedes Jahr wieder 365 Enttäuschungen beschert. Ohne diese beständigen Kränkungen meiner Zuversicht, könnte ich keine Hoffnung hegen. Und ohne Hoffnung würde ich die Dinge sehen, wie sie sind und nicht, wie sie sein sollten und alle würden mich einen Zyniker rufen.
Ob Du für mich beten sollst? Hm, ja, das kann weder Dir noch mir schaden. Ich verabscheue alle Religionen, vor einem Christen wird mir übel, und ein Katholik macht mich rasend, aber bete trotzdem für mich, denn ich habe Dich gern, trotz dieser Fehler. Mögest Du so lange leben, wie Du möchtest, und dann lächelnd in das gute Dunkel hinübergehen; in das gute, gute Dunkel! Wenn Du mir etwas wü nschen magst, dann sei es dies: zuvor noch das Licht zu finden – das Licht der Sechsten Sonne. Wenn Du nicht mehr von mir hören wirst, dann freue Dich mit mir, dass ich diese Sonne gefunden habe.
Lebwohl meine Freundin!
Dein 'lieber Großmeister'
Ambrose Gwinet Bierce
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Bis zum heutigen
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