Die Maya-Midgard-Mission

Titel: Die Maya-Midgard-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Sieberichs

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Tage gilt Ambrose Bierce als in den Wirren des m exikanischen Bürgerkriegs verschollen. Seine Leiche wurde niemals gefunden. Aber auch hier scheint er nie angekommen zu sein. Falls doch, dann hat er auf seinem Weg ins gute Dunkel keine Spuren hinterlassen...
    C.M., Dezember '36


    ***

31 AURORA WIDER DIE WINDE

    Daria Delfonte räumte mit bloßen Händen Trümmer und Schutt beiseite und kroch über Mauerreste ins Freie. Domnall O'Domhnaill reichte ihr eine Hand und half ihr schweigend auf die Beine.
    Die befürchtete Flutwelle war ausgeblieben. Aber das Meerwasser auch. Kein Mensch wusste, wie lange der Ozean brauchen würde, um zurückzukehren. Und wie groß die Wellenwalze dann sein würde. Die liebliche Aurora war auch jetzt bereits kaum wieder zu erkennen.
    Daria richtete sich auf, sog die Luft, die kühl und trocken, so als hätte es nie geregnet, über die Trümmerlandschaft säuselte, tief ein und erschrak über die Heftigkeit ihrer Trauer. William Peter Kautsky, ihr Mäzen, der Mann, dessen Vertrauen, dessen Wissbegier und dessen Zuversicht sie hierher gebracht hatten, war tot. Er hatte ihren Durchbruch, den Fund der Manuskripte Eitel Melchior Federmanns, nicht mehr erlebt.
    Hinter ihr kletterten, krochen und taumelten ein paar Dutzend Hö hlenmenschen aus ihrem Erdloch hervor und blickten ungläubig über das verwüstete Paradies.
    Stille lag wie ein Leichentuch über dem Land. Gebrochene und g estürzte Bäume hie und da, die Stümpfe und Wurzeln wie gekrümmte Finger anklagend zum Himmel erhoben. Zerfetzte Zweige und Äste. Zerrissenes Laub. Knäuel von Rinde, die Sturm und Regen wie ein Sandstrahl von den Bäumen geschmirgelt hatten. Frische Narben an der Erdoberfläche – rötlich-braun wie geronnenes Blut. Die Rundhütten allesamt vom Erdboden gefegt. Kaum ein Baum, der noch eine intakte Krone trug. Geschweige denn eine Blüte oder Frucht. Schmerz schnitt wie eine Messerklinge in Darias Brust. Sie spürte die Klauen der Angst an ihrem Rückgrat entlang kriechen. Sie krallten sich in ihren Brustkorb und quetschten ihren Herzmuskel.
    Der Hurrikan hatte keine Zufallsschneise geschlagen, sondern war gleich einer riesigen Dampfwalze über alles Lebendige hinweggewalzt. Als wäre er einem gigantischen Plan gefolgt. Vielleicht war Kautsky gestorben, weil er einen solchen Sturm der Vernichtung nicht noch einmal erleben wollte. Den Holocaust hatten allerdings Menschen entfacht. Diesmal war es die Rache der Natur für den Frevel der Me nschen, die sich zu lange und zu skrupellos an ihr bereichert und vergriffen hatten. Daria war keine bekennende Ökologin und doch insgeheim überzeugt davon, dass sich die Prophezeiungen vieler Naturvölker erfüllt hatten, die das Menschengeschlecht durch eigene Dummheit vom Erdboden getilgt sahen. Die Konfrontation in der Höhle hatte ihnen deutlich gezeigt, dass sie selbst keinen Deut besser waren.
    Sie horchte in die Grabesstille. Kein Papageiengeschrei, kein Ziege ngemecker, nicht einmal das Schnalzen eines einzigen Truthahns war zu hören. Es schien, als sei die Welt nach dem Sturm ertaubt. Auch das karibische Bukett von Düften hatte der Wirbelwind in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Das immerwährende Fest der Sinne war unter dem Druck von 890 Millibar zermalmt worden. Ob die Höhlenmenschen die einzigen überlebenden Geschöpfe auf Santa Aurora waren? Darias Blick irrte weiter über die zerstörte Landschaft und blieb an einem majestätischen Kapokbaum hängen. Als einziger hatte er der Gewalt getrotzt. Stumm und erhaben stand er da, unbeugsam trotz seiner zerrissenen Farnumhänge, ein Monument der Widerstandskraft.
    Dann erst spürte Daria, wie kühl es war. Kalt wie ein Sommermorgen in der San Francisco Bay. Der Wind war abgeflaut zu einem gramvo llen Säuseln. Es war, als trauten sich die Naturgewalten im Angesicht der furchtbaren Wunden, die sie in ihrer Zerstörungswut geschlagen hatten, nicht mehr, ihre Stimme zu erheben. Die Forscherin schaute zum Himmel, in ein graphitgraues, verwaschenes, kaum zu erkennendes Blau, das in den Augen schmerzte. Wolkenfetzen hingen wie Trauerfahnen am Himmel. Schwarze Schwingen zerteilten sie und Daria glaubte, das Opfer einer Sinnestäuschung oder ihrer düsteren Stimmung zu werden. Seit Menschengedenken hatte es keine Krähen in der Karibik gegeben. Daria wusste nicht, ob diese Kreaturen je zuvor auf den Inseln gesichtet worden waren. Sie spürte nur, dass ihr kreischender Besuch ein Zeichen war. Ein Zeichen wofür?