Die Maya-Midgard-Mission
schaffen. Seid dankbar und froh; denn ich werde Euch helfen, Eure Augen zu nutzen, wie der Herrgott sie Euch zugedacht: als SPIEGEL Eurer Seele. Was bedeutet, dass Ihr in mehr als eine Richtung schauen könnt. Nicht nur nach außen, auch bis ins t iv ste Innere leuchtet Euer Augenlicht.
Ich bin alt, das stimmt. Die Menschen auf Aurora werden alt, sehr alt. Meine Knochen sind gebrechlich, mein Atem ist flach, schon bald werde ich für immer in das Abendrot dieser wundervollen Welt einta uchen. Doch bin ich klar im Geiste wie der Bach, der nicht dieser Höhle entspringt. Meine geistigen Augen s I nd älter, viel älter als hundert Jahre. Dank Ihrer Kraft, V erliehen durch das L I cht der V ierten Sonne sehe ich weiter, als Eure Vorstellung zu folgen vermag. Wie ich zu sehen, das könnt Ihr lernen, dürft Ihr lernen. Ich bin einer Eurer Lehrer.
Ihr seid nicht allein! Auf Santa Aurora und ihren sechzehn Schweste rinseln existiert ein Volk, dessen Ahnen wie Ihr und ich als Schiffbrüchige, Suchende oder Flüchtlinge an Land gingen, um in Eintracht miteinander zu leben. Doch erst, wenn Ihr Euch einig seid, werde ich mit meiner Geschichte fortfahren. Erst, wenn Euer Anführer nicht nur seine eigene, sondern die Stärke aller in sich spürt, wird ihm das Wissen zuteil. Erst, wenn I hr Euer Licht V ereint, wird die Sechste Sonne wieder das Firmament erleuchten.
Ich bin Eitel Melchior Federmann, Maben Tok, Feuermacher und Seher des Kaziken Kayumam. Ich habe Vertrauen zu Euch; denn ei nzig aus diesem Grunde schrieb ich diese Worte nieder. Nach mir werden andere Chronisten folgen, die Euch Rat und Zuspruch geben. Ihr habt meine Aufzeichnungen gefunden. Das beweist, dass Ihr die Gabe habt. Nun lernt, sie zu nutzen, vertraut und schaut in Euch!
Eitel Melchior Federmann, Santa Aurora, 11.19.19.9.1
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3 4 DER SEETEUFEL
DEUTSCHLAND, BREMERHAVEN, 12. November 1916
" Kaptein!", meldete der Bootsmann mit zackigem Gruß. "Verschlüsseltes Telegramm vom Admiralsstab."
" Danke Hansen. Und schicken Sie mir den L.I. Kiesler mit der Dechiffrierwalze. Soll sich beeilen!" Kapitänleutnant Felix Graf von Luckner musterte missbilligend das Blatt Papier in seiner Hand. Eine Depesche vom Oberkommando in Berlin in allerletzter Minute konnte nichts gutes heißen. Zumindest lehrte ihn das seine Erfahrung. Und die war nicht gerade gering. Als Dreizehnjähriger war von Luckner zum ersten Mal zur See gefahren: den jungen Ausreißer Felix trieb es in die weite Welt. Als Schiffsjunge ohne Heuer war er unter dem Decknamen Phylax Lüdicke nach zahllosen Abenteuern in Australien angekommen, verliebte sich, büxte wieder aus und brachte sich mit allerlei Gelegenheitsarbeiten durch: Er hatte religiöse Traktate für die Heilsarmee verkauft, als rechte Hand eines Leuchtturmwärters fungiert, eine Gruppe indischer Fakire verstärkt, Kängurus gejagt und in einer Schule für Preisboxer trainiert. Danach hatte ihn die Sehnsucht nach der See und den Schiffen – vor allem nach den stolzen Windjammern – wieder gepackt.
Von Luckner legte das Telegramm auf seinen Schreibtisch und schmunzelte still in sich hinein bei den Erinnerungen, die wie ein erfr ischendes Quellwasser aus ihm hervorsprudelten.
Sieben Jahre war der jugendliche Ausreißer seinem Elternhaus fer ngeblieben. Er kannte den Globus und die meisten seiner Häfen: In Honolulu wäre er beinahe das Opfer eines mordlustigen Psychopathen geworden; in Vancouver saß er wegen Diebstahl eines Bootes im Knast; in Mexiko verpasste er sein Schiff und verdingte sich als Artillerieschütze in der Armee des Landes. Er hatte alles an Abenteuern er- und überlebt, was die Seefahrt zu bieten hat: Skorbut, Schiffbruch und Schanghaien. Schließlich hatte er sich der kaiserlichen deutschen Kriegsmarine angeschlossen, und da war er nun: Kapitänleutnant Felix Graf von Luckner, 35 Jahre alt, Kommandant der Seeadler , bestimmt als Blockadebrecher und Kaperfahrer, beseelt von dem Gedanken, im Zeitalter der Dampfschifffahrt der letzte Kapitän eines unter Segeln fahrenden Kriegsschiffes in der Tradition eines Drake oder Nelson zu sein. Von Luckner wollte sich gerade einen Aquavit aus der kleinen Schrankbar holen, als es an der Tür klopfte.
" Kommen Sie rein, Kiesler, kommen Sie rein."
Der leitende Ingenieur trug wie alle Männer an Bord der Seeadler nur zivile Kleider. Schließlich mimte man die Besatzung eines norwegischen Holzfrachters. Sein wildwüchsiger, schwarzer Schopf steckte unter einer
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