Die Maya-Midgard-Mission
schicke Sie anschließend mit dem ganzen Schiet wieder zurück nach Wilhelmshaven oder Berlin oder woher, zum Teufel, auch immer Sie gekommen sind. So geit dat bi uns to huus. Hab ich mich verständlich ausgedrückt?"
Leutnant May schien mehr vom dröhnenden Bass und der gewaltigen Statur des Kapitäns beeindruckt zu sein, als von dessen Worten. Trotzdem nickte er bejahend.
"Gut. Wie lauten also meine zukünftigen Befehle? Und was enthält dieser Umschlag?"
" Darf ich mich setzen?", fragte der Leutnant.
Von Luckner schüttelte den Kopf und blieb ebenfalls stehen. "Die Befehle!"
" Der Seeadler soll in drei Wochen getarnt als norwegischer Windjammer in See stechen und feindliche Schiffe aufbringen."
Von Luckner rollte mit den Augen und stöhnte gequält. "By Joe, erzählen Sie mir nichts, was ich nicht längst schon weiß. Ich selbst hab das Schiff umgebaut und einsatzbereit gemacht. Was steht in den verdammten Unterlagen?"
" Sie sollen die erste vom Seeadler aufgebrachte und geeignete Prise mit einer kleinen Mannschaft besetzen. Die wird das erbeutete Schiff nach bewährtem Beispiel des Seeadler umrüsten und das Aurora-Archipel im karibischen Meer anlaufen. Dort muss unter größtmöglicher Geheimhaltung nach einem Schatz gesucht werden, über den Sie diese Dokumente hier informieren. Mehr kann ich Ihnen auch nicht... Na ja, außer, dass der Schatz von unglaublicher Bedeutung für unser Vaterland ist. Eigentlich für die ganze Menschheit. Das ist alles, was ich weiß."
" So, so", sagte Luckner. "Und warum wissen Sie überhaupt soviel, Leutnant May?"
" Nun, ich werde der Kapitän des erbeuteten Schiffes sein, Kaptein Luckner", sagte Leutnant May und konnte sich – ganz oben unter seiner Schirmmütze – den Anflug eines Lächelns nicht verkneifen.
" By Joe, mit welcher Berechtigung, wenn ich fragen darf?"
" Lesen Sie die Dokumentation, Kapitän. Dann werden Sie verstehen. Vielleicht sollten Sie wissen, dass ich im Zivilberuf Historiker bin. Und jetzt – wenn Sie keine Fragen mehr haben – darf ich mich verabschieden."
" Ach Leutnant, bevor Sie den Quartiermeister aufsuchen: Sie sind nicht zufällig mit dem großen Schriftsteller Karl May verwandt, oder?", fragte Luckner in versöhnlichem Ton.
Leutnant Carl May drehte sich an der Türe um und lächelte süffisant. "By Joe, ich bin sein Sohn, Kaptein Luckner. Auf Wiedersehen."
Luckner entließ den aufmüpfigen Leutnant, erbrach das kaiserliche Siegel, schüttelte den Kopf und murmelte: "Kriegens Maul nicht auf, die jungen Leute von heute, aber wollen überall mitreden. By Joe, das alles soll ich lesen." Seufzend betrachtete er den Stoß Papier und beschloss, sich vor der Lektüre erst einmal mit einem norwegischen Aquavit zu stärken. Dann hievte er seine hünenhaften Einmeterzweiundneunzig in eine Koje, die der Schiffszimmermann für ihn maßgeschneidert hatte, schob sich ein Kissen in den Rücken und las:
Mein Name ist Jacob Grimm.
Wie mein Bruder,
so bin auch ich Sprachwissenschaftler.
Seit 53 Jahren haben wir uns mit den sogenannten Büchern der Sechsten Sonne befasst. Dennoch kann und will dieses Resümee nicht mehr als eine vorläufige Bestandsaufnahme sein.
Die Bücher der Sechsten Sonne sind der Legende und Augenzeugenberichten nach eine Art Bibel, ein umfassendes Werk, das die über Generationen hinweg gesammelte und überlieferte Weisheit eines Volkes enthält. Der erste Beweis für ihre Existenz gelangte auf höchst abenteuerlichen Wegen in Gestalt eines fragmentarischen Manuskripts nach Europa. Ein französischer Mönch erhielt besagtes Manuskript auf ungeklärte Weise in der furchtbaren Erdbebennacht vom 7. Juno 1692 im Hafen von Port Royal auf der Insel Jamaika und überließ es später deutschen Freunden.
Als Verfasser der geheimnisvollen Schrift gilt ein deutscher Rechtsg elehrter namens Melchior Federmann, dessen Bestallungspapiere als Beamter Kaiser Karls V. in den Neuen Landen Venecuelas urkundlich bezeugt sind. Melchior Federmann beschrieb die Bücher, deren Form und Gestalt (lang und schmal, als Leporello-Album zusammengefaltet), das Material aus dem sie gefertigt sind (Holz, Muschelkalk, eine besondere Art von Papyrus, Schnüre aus einer hanfähnlichen Pflanze), verriet uns aber nicht den Ort, wo sie verborgen sind. Als Beweis für seine Beschreibung hat er seinem eigenen Text ein Exzerpt der dort genannten "Sonnen-Bücher" beigefügt. Wir entdecken eine Bildersprache, die sich unserem Verständnis entzieht. Federmann
Weitere Kostenlose Bücher