Die Maya-Midgard-Mission
und bei welcher Gelegenheit. Einstweilen mußte sie sich damit begnügen, ihn als enervierend und bedrohlich zu empfinden. Die Helle, die ihn begleitete, sah mit ihrer spitzen Nase, den blonden Haaren und der ungesunden Blässe zwar aus, als sei sie ein etwas verwittertes Ex-Model, aber hinter ihrem aristokratischen Getue und dem schmächtigen Äußeren schien sich doch ein ganz umgängliches Exemplar von Frau zu verbergen. Flavia mußte ihr zugute halten, dass, wenn man ihrem Bericht Glauben schenken konnte, die Gräfin einen härteren Überlebenskampf hinter sich hatte, als sie selbst. Jetzt am Nachmittag schien sie sich von den Strapazen ihres Kenterns und der verzweifelten Paddelei auf dem rettungsfloß einigermaßen erholt zu haben. Die Gräfin – so wollte sie angesprochen werden – konnte schon wieder recht barsch mit ihrem Begleiter, dem Dunklen, wie Flavia ihn in Gedanken getauft hatte, umspringen. "Schmächtig, aber mächtig", dachte Flavia und lauschte dem Disput der Beiden.
"Ich bin nicht dein E igentum", fauchte die Gräfin. "Ich gehöre niemandem. Nur mir selber. Kapiert? Ich will hier bleiben. Genau auf dieser Insel. Und glaube nicht, du könntest mir drohen, Abdul. Du bist kein Mogul oder Sultan oder was weiß ich für ein Mufti. Du bist nichtmal ein Eunuch. Naja, mal abgesehen von deinem Paarungsverhalten, vielleicht… Jedenfalls bin ich kein Mitglied in deinem Harem. Die Drecksarbeit musst du schon selber erledigen. Keine leichte Aufgabe für einen arabischen Mann, mein kleiner Hadsch, ich weiß..."
Abdul Ibn Hamar Al Saud lächelte, aber seine Augen lächelten nicht mit. Er fühlte sich nicht sehr wohl – auch ohne Christinas Gekeife nicht. Nicht nur, dass er Tinas erneuten Sinneswandel ihm gegenüber nicht nachvollziehen konnte; auf dem Rettungsfloß war sie noch ganz friedlich gewesen. Wer weiß, vielleicht hatte sie ihm sogar das Leben gerettet. Tut man das für einen Dreckskerl, der davon lebt, andere zu betrügen und übervorteilen? Wenn man es selbst zur Perfektion in dieser Kunst gebracht hat, dann vielleicht…
"Weibergewäsch werde ich nie begreifen", zischte Abdul Ibn Hamar Al Saud. Zu den körperlichen Problemen, die er schnell überwinden würde, kam eine gewisse Unsicherheit. Zum ersten Mal seit vielen Jahren – seit seiner Studentenzeit in einer teuren englischen Privatuniversität – war er auf sich allein gestellt, konnte er weder eine Armee dienstbarer Geister abrufen noch an das Ölgeld seines Vaters. Schlimmer noch: Er konnte weder einschätzen, wie seine Gastgeber sich einem Araber und Moslem gegenüber verhalten würden, noch wie sehr er auf diese Pseudo-Eingeborenen angewiesen sein würde. Er wusste nur, dass er keinesfalls länger auf Grand Karaiba festhängen durfte. Er musste die Zügel wieder fest in die Hand nehmen. Am besten sofort. Nach dem bedauerlichen Bootsverlust als Folge der Monsterwellen, trieb er nun in einem Machtvakuum. Und das gefiel ihm überhaupt nicht. Die einzige Lösung war, dieses Vakuum umgehend zu füllen. Zu füllen mit Abdul Ibn Hamar Al Saud, mit den Ingredienzen seiner Philosophie, mit seinem Karma. Und bei Tina würde er anfangen. Nicht nur, weil sie es verdient hatte, sondern auch, weil sie das geeignete Objekt darstellte, seinen ungebrochenen Führungswillen zu beweisen.
"Verzeih meine unbeherrscht en Worte, Christina, liebste Freundin, Gräfin D'Abeau. Ich bin verwirrt. Verletzt. Ich sollte dich nicht anschreien, ich sollte mich an dich kuscheln, mich von der Wärme deiner zarten Haut und deinen süßen Lippen trösten lassen. Entschuldige, Gräfin. Gestern, im Meer, hast du mir das Leben gerettet. Doch heute bin ich wieder dran. Wir müssen weg von hier. Und ich werde mich darum kümmern. Komm!"
Abduls Worte klangen so aufrichtig, dass die Gräfin schon fast besänftigt war. Sie suchte in seinen Augen nach der Bestätigung seiner Worte; nach einem Beweis ehrlicher Zuneigung. Aber dort war nichts. Nur Leere. Dunkelheit. Schwärze.
"Warum glaube ich dir nicht?" fragte Christina.
"Weil er lügt, dich mit seinem Süßholzgeraspel einlullen will, und de ine Sensoren es spüren", dachte Flavia, aber hielt still.
Al Saud packte ihre Hand wie im Kasino in Nassau und drückte fest zu. "Komm jetzt, Tina. Wir müssen mit diesem komischen Häuptling reden. Wenn wir erst mal wieder unter zivilisierten Menschen sind, wird sich alles regeln. Glaube mir."
Christina Dabo spürte die Blicke der anderen Menschen in diesem Gemeinschaftshaus,
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