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Die Maya-Midgard-Mission

Die Maya-Midgard-Mission

Titel: Die Maya-Midgard-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Sieberichs
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ihr geliebter Lehrer kommt, hat sie freiwillig ein Gedicht des jüngeren Seneca einstudiert. Wie du siehst, du wirkst beflügelnd, auch schon auf Margarets Geist, der doch noch im Werden begriffen ist."
    Auf der Stiege im Hausflur hörte man Schritte.
    "Ah, da kommt Alice mit dem Brot."
    Erasmus von Rotterdam legte seinen feuc hten Wollmantel auf die Bank vor dem Kachelofen, streifte seine Kopfbedeckung ab, rieb sich die Feuchtigkeit des Londoner Dezember-Nebels aus dem Gesicht und ließ sich schwer seufzend auf den nächststehenden Stuhl niedersinken. "O tempora, o moris", sagte er, und ein schelmisches Lächeln umspülte seine weichen Züge. "Brot und Wasser? Werden so im Hause Morus alte Freunde begrüßt?"
    Thomas More lachte. "Erasmus wie er leibt und lebt. Schön, dich wieder bei uns zu haben, mein Freund. Ich dachte, Fieber, Gicht und Steinleiden hätten dich von deinem Feinschmeckertum kuriert? Nein, sag's nicht, du schlemmst im Geiste wie im Fleische, ich weiß. Wie ich mit Freuden sehe, bist du dir treu geblieben."
    " Ich werde nie aufhören, mir gleich zu bleiben. Doch du bist es, der mir Sorgen macht. Du siehst blass und abgemagert aus. Haben die Mächtigen dir wieder zugesetzt?"
    Noch ehe Thomas More Erasmus ' Frage beantwortete, eilte er in den Flur und wechselte ein paar getuschelte Sätze mit seiner Frau. Dann wendete er sich wieder seinem Freund zu. "Ich weilte in Brügge von Mai bis Oktober. Zusammen mit Tunstall und anderen sollte ich im Auftrag Heinrichs mit den Gesandten des Herzogs Karl von Burgund ein Handelsabkommen zwischen England und den Niederlanden zustandebringen. Du weißt am besten, wie beschwerlich eine Reise sein kann. Wenn man dann auch noch an politischem Ränkespiel von zweifelhaftem Erfolg teilhat, weil man teilhaben muss, dann wünscht man sich schnell an den heimischen Herd zurück. Bei manchen Verhandlungen kam ich mir vor wie ein ungeübter Reiter im Sattel. Eine königliche Handelsdelegation zu begleiten, ist etwas anderes, als den Streit zwischen Londoner Kaufleuten zu schlichten. Wie dumm muss ich gewesen sein, jene Mission anzunehmen?"
    Erasmus nickte ernst. "Lob deiner Art von Torheit; denn Handel zu treiben ist allemal ein ehrenwerteres Unterfangen, als Krieg zu treiben. Wer verhandelt, spießt sein Gegenüber höchstens mit Worten, nicht aber mit dem Schwerte auf. Krieg aber ist der Gipfel der Torheit, darin waren wir uns doch immer schon einig. Wann will Heinrich Frieden mit Frankreich schließen? Wir sitzen da, eingeschlossen von der Pest, von Räubern verfolgt, wir trinken englisches Wasser oder einen Schundwein, aber: Io triumphe! Wir sind die Herren der Welt. Kann es Törichteres geben, als aus weiß Gott welchen Gründen eine Auseinandersetzung vom Zaune zu brechen, die jedem Beteiligten mehr Schaden als Nutzen bringt? Ein Friede kann kaum einmal so »ungerecht« sein, dass er nicht auch dem anscheinend »gerechtesten« Krieg vorzuziehen wäre. Doch verzeih mir, Freund, was jammere ich von Krieg und…" 
    Die Türe zur Studierstube öffnete sich und Lady Alice, mit blütenwe ißer Küchenschürze und -haube bekleidet, betrat den Raum. "Krieg? Bringst du uns schlechte Nachricht vom Festland, Erasmus?", fragte sie anstelle eines Grußes und stellte ein schwer beladenes Tablett auf dem Schreibtisch ihres Mannes ab.
    Erasmus nickte ihr wortlos zu und verschlang das Tablett mit hungr igen Blicken. Ein Tonkrug, dem heiße Schwaden entstiegen und der dem Geruch nach einen köstlichen Honigwein enthielt, stand inmitten eines wahren Berges von gerösteten Hühnerschenkeln, goldbraunen Hammelkeulen, großen Brocken dampfenden Gersten- und  Roggenbrots; und alles zusammen verströmte einen Duft, der dem Erasmus von Rotterdam das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Ob der Üppigkeit der Speisen glaubte er, eine Spur der Missbilligung in Thomas Mores Augen zu entdecken. Er wusste um die asketische Lebensführung seines Freundes, und beeilte sich zu rufen: "Oh, Thomas, verzeih mir! Wie kann ich, der eigentlich so Temperamentlose, derart in Rage über ein akademisches Problem geraten, anstatt mich den handfest weltlichen aber mindestens ebenso wichtigen Dingen zuzuwenden, wie etwa den Kochkünsten deiner Frau? Hab Dank, Alice, für das stattliche Mahl. Seit zwei Tagen spüre ich wie mein Leib und meine Seele auseinanderstreben. Die Überfahrt war kurz aber stürmisch. Der Kanal empfing, was eigentlich meinem Magen zugedacht war. Ich denke, ich brauche einige kräftige

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