Die Maya-Midgard-Mission
Meeressonne schützte.
Veit Pestien war einer von zweihundert Söldnern, die die Augsburger Geschäftsleute, Anton Fugger und Jakob Welser – gewöhnlich Konkurrenten, hier als Kompagnons tätig –, zum Schutz ihrer Unternehmungen in den Kolonien und als Wachpersonal für die Handelsflotte, zu der auch die Karavelle Espléndido Ganancia gehörte, angeheuert hatten. Pestien und dreizehn andere Mordgesellen hatten sich seit ihrer Ankunft vor sechs Wochen allerdings schon dermaßen viehisch und brutal aufgeführt, dass Federmann entschieden hatte, an ihnen ein Exempel im Sinne des neuen Gesetzes zum Schutze der Indios zu statuieren, und die Mordbuben umgehend der Bestrafung und Gerichtsbarkeit der Alten Welt zu übergeben.
Der Rumpf der Karavelle lag tief im Wasser, so tief, dass die Kan onenluken stets geschlossen sein mussten, um das Eindringen von Wasser zu verhindern. Doch die Strafgefangenen waren nicht der einzige Ballast an Bord. Die kostbarste Fracht war im Bauch der Espléndido Ganancia verstaut – dort, wo der Großmast in seiner Spur steckte –, und würde ihren Eigentümern in Europa mehr als nur glänzenden Gewinn einbringen: Goldklumpen von der Größe eines menschlichen Schädels, Silberbarren, Jade, Indigo, Koschenille und Gewürze lagerten dort ebenso wie Coca-Nüsse, Chinarinde, Guajakholz, Tabak und Winter-Anis, die das Schiff zur schwimmenden Apotheke machten. Legionen von kranken Europäern erwarteten ungeduldig jede neue Ladung der heilbringenden Fracht aus den sagenhaften Ländern jenseits des Weltmeeres: Fiebernde, Weltreisende und Fürsten bekämpften ihre Hitze erfolgreich mit Chinin; leidende Lebemänner hofften auf das Guajakholz, um die Syphilis zu überleben. Zur Ausrottung der Lustseuche waren ihnen keine Dukaten zu teuer. Kaum ein Kapitän konnte es verantworten, seine Fahrt ohne den Winter-Anis anzutreten, versprach man sich von ihm alleine doch den Schutz vor dem größten und tod-bringendsten Feind aller Seeleute, dem Skorbut.
Eitel Melchior Federmann seufzte schwer. Selbst der Genuss von T abak hatte die lästigen Symptome der Seekrankheit bei ihm nicht zu lindern vermocht. Sollten doch die Leute in der Heimat ihre letzten Dukaten für das Heilkraut opfern und ihn und seine Geldgeber reich machen: Er würde die Trockenblätter nicht mehr anrühren und sich die wenigen Tage bis zum Erreichen Hispaniolas, wo der Kapitän ein Dutzend deutscher Bergleute mit ihren Familien an Land setzen und Vorräte bunkern sollte, nur noch mit ausgekochtem Pökelfleisch ernähren. Außerdem besaß er noch einen kleinen Lederbeutel voll dieser harten, rotbraunen Erdknollen, die er immer in den Topf zum Pökelfleisch warf. Sie machten die Suppe sämig, und nach ihrem Genuss rebellierte sein Magen weniger heftig. Plötzlich lächelte er vergnügt und ließ Veit Pestien achtlos am Mastknecht angebunden zurück. Es war ihm aufgefallen, dass der, der schon wieder an Essen denkt, so krank nicht mehr sein kann, und er ging über das Deck zur Feuerstelle an der Leeseite der Espléndido Ganancia hinüber, um sich beim Koch nach dem Abendessen zu erkundigen.
Dass sich auf Steuerbord dunkle Gewitterwolken bedrohlich zusa mmenballten, bemerkte der wiedererstarkte Rechtsgelehrte erst nach einem vorsichtigen Mahl. Die Vorboten des kommenden Unwetters trafen die Espléndido Ganancia plötzlich. Wie ein Stück Treibholz wurde das Schiff zwischen zwei gurgelnd emporgestiegenen Riesenwellen hin- und hergeworfen. Der ersehnte Wind hatte sich eingefunden. Aber leider besaß er nicht die Milde des Passats; er hatte zuviel kalte Luft aus den Tiefen des Atlantischen Ozeans geatmet. Und so ballte er sich zu einem für die Jahreszeit viel zu frühen und äußerst ungewöhnlichen Hurrikan zusammen.
Hektische Betriebsamkeit machte sich auf dem Schiff breit. Der Kap itän brüllte Befehle, Offiziere gaben sie an Maate und die an Matrosen weiter. Hastig wurden Taue festgezurrt, wasserdichte Planen über Luken gespannt, Rahe gefiert und Segel gerefft. Auf dem Vorschiff kroch ein besonders kühner Matrose auf die schwankende Rah hinaus, um das gefierte Focksegel mit Beschlagzeisingen zu befestigen. Als die erste richtige Sturmböe die Karavelle voll von Luv her traf, neigte sie sich gemächlich wie ein gichtkranker Mönch beim Morgenbad, so dass die Spitzen der Rah beinahe ins Wasser tauchten. Der Matrose krallte sich voller Todesangst in die Vertäuungen. Mehrere Eimer und Kessel, zwei Käfige mit Hühnern und ein
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