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Die Maya-Midgard-Mission

Die Maya-Midgard-Mission

Titel: Die Maya-Midgard-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Sieberichs
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konnte.
    Der alte Kutter stampfte schwerfällig in der weitausholenden See. Ein Brecher spü lte über den Bug. Zum wohl hundertsten Male wunderte Kautsky sich, wie eine solch gebrechliche Konstruktion es schaffen konnte, den ozeanischen Mächten die Stirn zu bieten. Dass die Meere ihn und seine Nussschale, die Cuttlefish , bisher nicht verschlungen hatten, bestätigte ihn in seiner Einschätzung, dass die schlimmste aller Naturgewalten seit jeher der Mensch war. Der alte Fischer in Cornwall, dem er die Cuttlefish abgekauft hatte, war das beste Argument für seine These. Dessen traditionelle Fischgründe im Ärmelkanal, die Lebensgrundlage nicht nur dieses einen Fischers und seiner Familie, waren –  ökologisch gesehen – tot. Verseucht von ein paar Dutzend rostenden Fässern Giftgas und systematisch versenktem Atommüll. Getötet von einer Spezies, die mörderischer wütete als alle weißen Haie zusammen, die Profithaie. Mit allen juristischen Wassern gewaschen und von der Habsucht getrieben tummelten sich diese Bestien in den Weltmärkten und reduzierten ihre Opfer, die Konsumenten, zu Fischfutter. Mit Raffgier kannte Kautsky sich aus. Er wäre selbst beinahe Opfer dieser Seuche geworden. Barbara hatte ihn gerettet. Wie so viele andere Male auch.
    Der Skipper sah auf den Kompass und drehte das Steuer auf drei Strich Steuerbord. Die Cuttlefish gierte einen Augenblick lang unentschlossen in der Dünung, dann folgte sie willig der Richtung des Ruders.
    Kautsky machte sich nichts vor. Als ehem aliger Fabrikant und jetziger Hotelier entsprach er beileibe nicht dem Klischee eines Ökoapostels. Ein Heiliger würde nicht weltlichen Genüssen frönen. Ein Heiliger würde keine Hotels sammeln, keinen Mythen hinterher jagen und keine Reichtümer anhäufen. Ein Heiliger würde sich auch nicht wie ein pubertierender Jüngling auf das erste Rendezvous seit etlichen einsamen Jahren freuen.
    Seit Barbara ihn verlassen hatte waren neun Jahre vergangen. Neun Jahre in denen Kautsky von Geschäft zu Geschäft, in rastloser Leide nschaft von einem Punkt der Erde zum nächsten gehetzt war. Angeblich, um seiner Sammlung hier und da eine neue Perle einzuverleiben. Aber diesen Vorwand ließ Kautsky vor sich selbst schon lange nicht mehr gelten. Er wusste, dass er in Wirklichkeit Vergessen suchte. Oder einen Menschen, der ihm die Gesellschaft Barbaras ersetzen konnte. Barbara war vor neun Jahren gestorben. Aber selbst diese lange Zeit, vermochte bis heute nicht die Wunde zu heilen, die ihr Verlust ihm geschlagen hatte. Und er meinte geschlagen. Zuerst war es echte Trauer um den Menschen an seiner Seite gewesen. Dann hatte die unabänderliche Einsamkeit ihn k.o. gehen lassen. Später wurde daraus Selbstmitleid. Schmerzen bereiteten das eine wie das andere. Linderung gab es nicht. Sicher, er wollte nicht wie ein Mönch leben. Es gab einige Frauen in seinem Leben nach Barbara. Aber sie alle waren wie eine einzige, flüchtige Sommerwolke an ihm vorüber gezogen. Er hatte sie kaum beachtet. In dem Bewusstsein, dass der erste Wintertag nicht weit war, hatte er keinem Menschen gestattet, an seiner Seite zu bleiben. Nur bei Barbara hatte er es geschafft, die Fratzen von früher wie eine Maske abzustreifen. Ihre Liebe war Balsam für die Wunden seiner Seele. Ihre Lippen Labsal für seine Narben. Sie hatte ihm die Kraft gegeben, erfolgreich zu sein, neue Ziele zu sehen und sie dann auch zu erreichen. Barbara hatte ihn gesund gepflegt, ihm ein zweites Leben ermöglicht. Aber geheilt hatte auch sie ihn nicht. Mit ihrem Tod kehrten die qualvollen Bilder zurück: Schreiende Kinder, auseinandergerissene Familien, gepeinigte Mütter, verhungernde Väter und schließlich ausgemergelte, knöcherne Körper, hastig in Erdlöchern verscharrt wie verfaulendes Vieh. Nie würde Kautsky den letzten Blick seiner Mutter vergessen; diese Mixtur aus Liebe, Unglaube, Zorn und Verzweiflung. Schierer Schmerz. Als sie sie aus der Baracke holten. Zusammentrieben. Zum Duschen. Jedes Kind hatte es gewusst... Aber dann war das Schrecklichste geschehen, das Wunder, das... Es gab keine Worte. Sie hatten ihn am Leben gelassen. Am Leben, pah! Was war das für ein Leben? Ein Leben in Agonie. Ein Leben gespickt mit bitteren Selbstvorwürfen. Ein Leben schlimmer als jeder Tod. Das einzig Beständige dieses Lebens war der Schmerz und die Angst, die ihm wie immer so auch jetzt die Kehle zuschnürte. Kautskys Brustkorb schien zu implodieren. Er musste sich zwingen zu atmen. Zwingen.

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