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Die Maya-Midgard-Mission

Die Maya-Midgard-Mission

Titel: Die Maya-Midgard-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Sieberichs
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blassblauen Augen machten ihn zu einem sympathischen Chef.
    Daria wusste, dass Kautsky eine grausame Kindheit erlebt ha tte: er war Halbjude, geboren im faschistischen Deutschland und hatte als einziger und nur dank der Hilfe einiger beherzter Landsleute die industriell betriebene Ausrottung seiner Familie und Abertausender von Leidensgenossen überlebt. Die Vereinigten Staaten waren Peter Kautskys neue Heimat geworden. Er hatte seinem Namen den Vornamen William beigefügt und blieb äußerst schweigsam, was seine Vergangenheit betraf. Trotz seiner traumatischen Kindheit – oder gerade deswegen, wie Daria insgeheim vermutete –, er war ein Menschenfreund geblieben. Er wollte niemanden mit den Gräueln von gestern belasten, sondern erfreute sich lieber an der Gegenwart. Die Schönheit der Welt wusste er stets zu schätzen. Und so versuchte er, sie auch anderen zugänglich zu machen oder zu bewahren; je nach Lage der Dinge. Er ließ keine Mangrovenwälder abholzen oder Feuchtgebiete trockenlegen oder Korallenriffe wegsprengen, nur um Tennisplätze, Hotelkomplexe oder Tauchretorten zu schaffen. Er kaufte die letzten Naturreservate und landschaftlichen Kleinodien nicht auf, um sie den Massen zu erschließen, sondern, um sie ihrer selbst wegen zu erhalten. Notfalls scheute er sich nicht, sie wegzuschließen, Privatgelände als solches zu kennzeichnen und Unbefugten den Zutritt zu verwehren. Seine Willenskraft, seine Begeisterungsfähigkeit und sein Bankkonto halfen ihm dabei.
    Eigentlich war Kautsky der Prototyp des Gutmenschen. Na ja, sie kannte erst wenige se iner Gesichter. Aber sie glaubte, dass er mit Hilfe seines Naturells und seiner Leidenschaft der eigenen Biographie die Stirn bot. Außerdem war Daria ziemlich sicher, dass Aurora auf seinem Einkaufszettel ganz oben stand. "Sie schwärmen von Aurora wie ein Jüngling von seiner ersten Liebe", scherzte sie.
    Kautsky nickte nur. "Da Sie nun leider schon vergeben sind, meine Teuerste."
    Daria hob in gespielter Überraschung eine Augenbraue.
    Ihre innere Stimme rief ihr juchzend zu: »Peter ist Witwer, genau wie du!«
    Aber sie ignorierte die Stimme hartnäckig. Schließlich war sie keine Siebzehn und auf Männerfang. Sie war eine gestand ene Frau unweit der Fünfzig: werdende Großmutter, erfolgreich im Beruf, gebildet. Sie wusste, was sie wollte – für gewöhnlich jedenfalls –, und sie kannte ihre Grenzen. Eine nicht mehr junge Frau, die gerade den Zenit ihres Lebens erklomm. So musste man das sehen.
    »Papperlapapp!« , widersprach Stimmchen vehement.
    " Ich, vergeben?", echote Daria.
    " Nun, gegen einen echten Wikinger habe ich doch keine Chance, oder?", knurrte Kautsky, dem ihr Zögern nicht entgangen war und schob sich eine Cohiba in den Mundwinkel.
    Daria Delfonte mochte den burschikosen Charme ihres Chefs und beschloss, es dabei zu lassen.
     
     
    ***

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DIE LEUTE VON ROANOKE
AMERIKA, VIRGINIA, Insel Roanoke, 18. Februar 1589
     
    Der Mann, der innerhalb von einem Jahr zum zweiten Mal seine Heimat verlieren sollte, sprang auf den Tisch aus roh behauenen Fichtenstämmen und rief mehr zur Menge als zu ihrem Anführer hin gewendet: "Norman Redneck, nach John White hast du uns bis in dieses Land geführt. Du bist ein tapferer Mann, du bist ein fähiger Seemann, du bist aufrechter Gesinnung und nur mit den besten Absichten versehen. Aber du bist kein Feldherr, kein Admiral, nicht einmal ein Krieger."
    " Und wir sind keine Soldaten!", schrie der dicke Küfer, Calvin Smith, und schwang einen mitgebrachten Spundbohrer bedrohlich wie einen Dreschflegel über seinem fleischigen Schädel.
    Böse Stimmen behaupteten, Smith habe nicht nur sein Weib, sondern auch seinen letzten Funken Verstand in einem seiner schlampig kalf aterten Fässer und dessen Inhalt, nämlich der übelst schmeckenden Brühe von selbstgepanschtem Schnaps in der gesamten Neuen Welt, ertränkt.
    Diese Neue Welt aber bereitete den Sie dlern aus der Alten Welt weit größeren Kummer als nur das geisttötende Gesöff des Küfers: Die fremden Ankömmlinge wurden von Mosquitoschwärmen, Fieberattacken und Wetterkapriolen attackiert. Auf milde, beinahe schon schwüle Januartage folgten sternenklare aber bitterkalte Frostnächte, die alles Lebendige erstarren ließen, so dass die Neuamerikaner meinten, ihre Knochen klirren zu hören, wenn sie sich nächtens übermüdet und steif in ihren behelfsmäßigen Behausungen bewegten, um nicht zu erfrieren. Die klamme Kälte des atlantischen Winters biss sich

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