Die Maya Priesterin
Canek dorthi n . Steinbrocke n lage n i m Umk reis de s Risse s a m Bode n . I n Fetze n hin g di e Tapet e herab . Die Maue r dahinte r sa h sonderba r au s. Weiße r Stein , mi t grauen Flecken übersä t . Wie mit einem Ausschla g .
Wiede r faßt e Dieg o de n junge n Gottköni g i n de n Blick . Der Cane k schielt e z u de m Mauerri ß hi n über, als fürchte er, daß der Palas t übe r ihre n Köpfe n zusammenbreche n würde . Warum ließ er sich durch diesen kleinen Schaden so beunruhigen? Waren di e May a nich t Baumeiste r vo n einzigartige r Kunstfertigkeit? Vermochte n si e nich t Pyramide n un d Tempe l i n s c hwindelnde Höhe n aufzutürmen ? Irgen d etwa s stimmt e hie r gan z un d gar nich t .
Abermal s lie ß Dieg o seine n Blic k umherschweife n . Der Thronsaa l wa r wenigsten s siebzi g Schritt e lan g . Kunstvolle Mosaiken bedeckten den Bode n . Ein riesenhaftes Krokodil, schwimmen d i n jadegrüne m Wasser . Auf dem Panzer der Echse erho b sic h di e Mayawel t . Wälde r wuchse n au s ihre n Schuppe n . Jagua r un d Ozelo t streifte n durc h da s dicht e Grü n . Zwischen den Schultern des Krokodils ragte eine Stadt au f . Tayasa l . Ein Labyrint h au s Tempel n un d Pyramiden , Straße n un d Gassen, Türmen und Palästen, so phantasievoll wie präzise ausgeführ t . Jetzt erkannte er auch, daß sich das Kunstwerk auf den Saalwände n fortsetzte , bi s zu r Deck e hinauf .
Webtapete n spannte n sic h übe r di e Wände , bedeck t mit Dschungelm otive n . Di e heilig e Ceib a ragt e bi s zu m Himmel au f . Männer mit Äxten kletterten auf Zapotebäume, um das kostbare Gummiharz zu ernte n . Affe n schwange n sic h i n den Wipfeln umhe r . Durch die Luft schwebten Quetzalvögel mit leuchten d grüne m Gefieder . Hirsch e st anden auf Lichtungen, den Kopf majestätisch erhobe n . Jäge r un d Fallensteller schlichen durchs Unterholz. Au f Saccabés , di e i m Sonnenlicht schimmerten, schritten Priester in würdevoller Prozession einher . Scharen von Kriegern und Priestern versammelten sich a n eine m heilige n Cenote . Dor t harrte n scho n di e Opfe r ihres Schicksals, in schmachvoller Nacktheit, die Gesichter zerflossen i n Scha m un d Todesangst .
Dieg o schauderte . Verstohle n ho b e r seine n Blic k zu r Decke . Ei n nachtblaue r Himmel , übersä t mi t Sterne n . Zwische n den Gestirne n ringelt e sic h ein e gigantisch e Schlange , grün gefiedert , s o gro ß wi e de r Kosmo s selbs t . Ihr Leib umwand Stern e un d Planete n . Kein Zweifel, dies war Kukulká n . Die kosmisch e Himmelsschlang e . Einer der mächtigsten Götter von Tayasa l . U nd überdies der Vater des göttlichen Canek, der Schwarze n Schlange , di e sic h jeweil s i m Köni g vo n Tayasal verkörperte . So zumindest der oberste Kalenderprieste r . Un d das Graue n i n de n Auge n de s Cane k erlaubt e keine n Zweife l a n den Erklärunge n Ajxoka'nals .
Offenbar schickte sich die Himmelsschlange an, in die Mayawelt hinabzusteige n . Au f de r linke n Stirnwan d de s Saales wuch s ih r vo n de r Erd e ei n himmelhohe r Bau m entgege n . Ya x . Di e blaugrün e Weltenachse , de r Bau m de r Götter , täuschend ech t gemal t . Da s Schlangenhaup t sa h bereit s au s de r Kron e des Weltenbaum s hervo r . Di e Auge n schillern d i n alle n Farbe n . Die gespalten e Zunge , vo n fleischige r Röte , züngelt e i n de r Luft .
Genau über dem Schlangenhaupt aber klaffte der Mauerspalt.
Ein waagrechter Riß, armbreit und d rei Fuß lan g . E s sah wahrhafti g beängstigen d au s . Nicht wegen des Schadens in Maue r un d Gemäld e . De r lie ß sic h gewi ß leich t behebe n . Der Ri ß verlie f que r durc h di e Kron e de s Weltenbaumes . Er schied die Götterhimmel von der Menschenwelt. Un d e r trennt e das Haup t de r gefiederte n Him m elsschlang e vo n ihre m Leib . Was den Canek so beunruhigte, dachte Diego, war kein einfacher Riß i n de r Wan d . Sonder n ei n Abgrun d , de r zwische n de n Welten klaffte . Ein Hieb, furchtbar und rätselhaft, mit dem sein göttlicher Vater e n thaupte t worde n wa r .
Behutsa m verlagert e Fra y Dieg o sei n Gewicht . Noc h immer lag er bäuchlings auf dem Boden, wie die anderen obersten Prieste r auc h . Noc h imme r sa h de r Cane k unruhi g u m sich , weit entfern t vo n Tranc e un d Visio n . Weiterhin stand der Hohepr i este r nebe n seine m Thron , fas t gläser n vo r Erschöpfung, und flüsterte auf den König ei n . Wi e gerne , dacht e Diego , würde ic h noc h
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