Die Mayfair-Hexen
eigenhändig durchsehen.
Oh, was ich da fand! Zerfallende Quartbände, wunderschön illustrierte Bücher aus Pergament, Werke der irischen Mönche, der Benediktiner und Zisterzienser, die sich über den wahnhaften Aberglauben des gemeinen Volkes beklagten, angefüllt mit Geschichten über diese Riesen und diese Kleinen Leute; hartnäckig glaubte das gemeine Volk an sie, lockte sie hervor und bediente sich ihrer auf verschiedenste Weise.
Und hier, eingestreut zwischen diese wortreichen Verdammungen, fand ich Geschichten von riesengroßen Heiligen! Von Riesenrittern und Königen!
Hier in Glastonbury, gar nicht weit von hier, wurde in früherer Zeit einmal ein Riese von sieben Fuß ausgegraben, und man erklärte, es sei König Arthur. Was war das anderes als einer von Tessas Riesen, frage ich Sie? Und solche Geschöpfe hat man überall in Großbritannien gefunden.
Oh, wohl tausendmal war ich versucht, Aaron anzurufen. Wie hätte Aaron diese Geschichten geliebt, vor allem diejenigen, die geradewegs aus den Highlands kamen, aus der Geisterwelt ihrer Lochs und Glens.
Aber es gab nur eine Person auf der Welt, der ich mich anvertrauen konnte, und das war Tessa.
Und als ich mit meinen sorgfältig ausgegrabenen Geschichten nach Hause kam, erkannte Tessa diese Rituale, diese Muster – ja, sogar die Namen der Heiligen und Könige. Natürlich redete Tessa nicht in ausgefeilten Sätzen. Es kam bruchstückhaft aus ihrem Munde, wie ihr Volk zu einem heiligen Jagdwild wurde, und wie es sich vor Folter und Tod nur retten konnte, indem es zur Macht aufstieg und sich zu Herrschern über die Christen erhob, oder indem es tiefer und tiefer in die großen Wälder flüchtete, die in jenen Jahren noch immer die Berge bedeckten, in die Höhlen und die geheimen Täler, wo sie verzweifelt versuchten, in Frieden zu leben.«
»Und das haben Sie Aaron nie erzählt«, sagte Yuri.
Gordon beachtete ihn nicht. Er fuhr fort:
»Und dann gestand mir Tessa mit schmerzerfüllter Stimme, daß sie einst von christlichen Bauern schrecklich gequält worden war; sie hatten sie eingesperrt und sie gezwungen, nacheinander alle Männer aus den Dörfern der Umgebung zu empfangen. Die Hoffnung war, daß sie einen zweiten Riesen wie sie selbst gebären würde, einen Riesen, der aus ihrem Schoß entspringen und binnen Stunden zu Sprache, Wissen und Erwachsenenreife gelangen würde – eine Kreatur, die diese Bauern dann vor ihren Augen ermorden wollten!
Es war für sie zu einer Religion geworden, verstehen Sie? Fangt den Taltos, vermehrt ihn, opfert seine Kinder. Und Weihnachten, die Zeit uralter heidnischer Rituale, war ihnen die liebste Zeit für diese heilige Jagd. Aus dieser gräßlichen Gefangenschaft war Tessa schließlich entronnen. Nie hatte sie das Opferwesen geboren; der Same eines jeden Mannes hatte ihr immer nur Blutstürze verursacht.«
Er schwieg und zog die Brauen zusammen. Mit trauriger Miene schaute er Ash an.
»Und das war es, was meine Tessa verletzt hat? Das war es, was den Quell hat versiegen lassen?« Es war weniger eine Frage als vielmehr eine Bestätigung dessen, was zuvor enthüllt worden war; Ash, der anscheinend keine Notwendigkeit sah, es zu bestätigen, antwortete nicht.
Gordon schauderte.
»Sie sprach von gräßlichen Dingen«, sagte er. »Sie sprach von den Männern ihres Volkes, die in den Steinkreis hinabgelockt wurden, und von den Dorfjungfern, die ihnen angeboten wurden. Brachte eine solche Jungfer aber keinen Riesen zur Welt, so war der Tod die sichere Folge. Und wenn so viele Jungfrauen gestorben waren, daß die Leute im Dorf an der Kraft des Riesen zu zweifeln begannen, dann wurde er als Opfergabe verbrannt. Tatsächlich wurde er überhaupt immer verbrannt, ganz gleich, wie das Ritual aussah, ob er Nachkommen gezeugt hatte oder nicht, denn man fürchtete diese Männer sehr.«
»Die Frauen also nicht«, sagte Rowan. »Weil die Frauen den Menschenmännern, die mit ihnen schliefen, nicht den Tod brachten.«
»Ganz recht«, sagte Gordon. »Aber!« Er hob mit schmalem, entzücktem Lächeln den Zeigefinger. »Aber! Es geschah tatsächlich hin und wieder, daß der männliche oder der weibliche Riese ein magisches Kind seiner eigenen Art hervorbrachte. Und dann gab es einen neugeborenen Riesen, den alle anschauen konnten!
Kein Zeitpunkt war für eine solche Vereinigung günstiger als Weihnachten, der fünfundzwanzigste Dezember, das Fest des Sonnengottes! Und man sagte dann – wenn ein Riese geboren wurde -, daß der
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