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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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dir auch sparen, würde ich sagen.«
    »Das Haus, Mary Jane, das Haus! Es kippt zur Seite!«
    »Darlin’, das Haus steht seit fünfzig Jahren so.«
    »Ich wußte, daß du das sagen würdest. Aber wenn es nun sinkt, Mary Jane? O Gott, ich kann diesen Anblick nicht ertragen! Es ist schrecklich, wenn etwas so Großes so schief steht! Das ist, als ob…«
    Wieder blitzte der Schmerz auf, ganz kurz, aber dennoch intensiv und niederträchtig.
    »Na, dann schau doch nicht hin!« sagte Mary Jane. »Du wirst es nicht glauben, aber ich habe selbst mit einem Kompaß und einem Stück Glas den Neigungswinkel gemessen, und es sind weniger als fünf Grad. Es liegt bloß an all den Säulen mit ihren senkrechten Linien, die aussehen, als wollten sie gleich umkippen.«
    Sie hob die Stange, und das flachkielige Boot glitt vom eigenen Schwung vorangetrieben schnell dahin. Die traumartige Nacht umschloß sie blättrig und weich; Lianen hingen von den Ästen eines schiefen Baumes herunter, der aussah, als wolle er gleichfalls umkippen.
    Mary Jane versenkte die Stange wieder ins Wasser und stieß sie hart in den Grund. Das Boot flog dem riesigen Schatten entgegen, der vor ihnen aufragte.
    »O mein Gott, ist das die Haustür?«
    »Na ja, sie ist inzwischen aus den Angeln gekippt, wenn du das meinst, aber da wollen wir hin, ja. Honey, ich fahre dich gleich dort hinein bis an die Treppe. Da binden wir das Boot fest wie immer.«
    Sie hatten die Veranda erreicht. Mona schlug sich die Hände vor den Mund; am liebsten hätte sie sich die Augen zugehalten, aber sie wußte, daß sie dann hinfallen würde. Sie blickte starr nach oben in den wilden Wust der Ranken über ihnen. Wohin sie auch blickte, sah sie Dornen. Mußten einmal Rosen gewesen sein und würden vielleicht auch wieder welche werden. Und da, schau, leuchtende Blüten in der Dunkelheit. Das waren Glyzinien. Sie liebte Glyzinien.
    Warum fielen die großen Säulen nicht einfach um? Hatte sie überhaupt schon mal so dicke Säulen gesehen? Gott, als sie sich die Zeichnungen angesehen hatte, wäre sie niemals auf die Idee gekommen, daß das Haus solche Ausmäße hatte. Ja, es war die absolute neoklassizistische Pracht. Aber sie hatte eigentlich nie jemanden gekannt, der tatsächlich hier gewohnt hatte, jedenfalls niemanden, der sich noch daran erinnern konnte.
    Der Vorbau des Verandadaches war verrottet, und darüber klaffte ein scheußliches dunkles Loch, in dem durchaus eine Riesenpython wohnen konnte – oder wie war’s mit einem ganzen Nest von Kakerlaken? Vielleicht fraßen die Frösche die Kakerlaken. Die Frösche sangen und sangen; es klang hübsch – stark und laut, verglichen mit dem sanfteren Zirpen von Gartenzikaden.
    »Mary Jane, es gibt doch hier keine Kakerlaken, oder?«
    »Kakerlaken! Darlin’, es gibt Mokassinschlangen und Cotton-mouthschlangen und Alligatoren, massenhaft! Aber die Kakerlaken frißt meine Katze.«
    Sie glitten durch die Haustür hinein, und plötzlich tat sich die Eingangshalle riesenhaft vor ihnen auf, erfüllt vom Duft nach nassem Stuck und aufgelöstem Tapetenkleister und nach dem Holz an sich. Oh, es gab zu viele Gerüche: Fäulnis und Sumpf und lebende Dinge, das gekräuselte Wasser, das ein gespenstisches Licht über Wände und Decken warf, Flirren um Flirren, man konnte ganz benommen davon werden.
    Plötzlich sah sie Ophelia vor sich, wie sie mit Blumen im Haar in ihrem Bach davon trieb.
    Aber schau doch! Man konnte durch die große Flügeltür in einen verfallenen Salon sehen, und da, wo das Licht auf der Wand tanzte, sah man die feuchten Überreste von Vorhängen, die vom aufgesogenen Wasser so dunkel waren, daß man ihre Farben nicht mehr erkennen konnte. Tapeten hingen wie Girlanden lose von der Decke.
    Das Boot stieß mit einem dumpfen Schlag gegen die Treppe. Mona streckte die Hand aus und packte das Geländer; sie war sicher, daß es wackeln und umkippen würde, aber das tat es nicht. Ein Glück, denn wieder schlang sich der Schmerz um ihren Leib und biß ihr tief ins Kreuz. Sie hielt die Luft an.
    »Mary Jane, wir müssen uns beeilen.«
    »Wem sagst du das, Mona Mayfair? Ich hab solche Angst!«
    »Brauchst du nicht. Sei tapfer. Morrigan braucht dich.«
    Das Licht der Laterne schien zitternd hinauf bis unter die hohe Decke im ersten Stock. Die Tapete hatte ein Muster aus kleinen Blumensträußen, das inzwischen so ausgeblichen war, daß nur die weißen Umrisse der Sträuße im Dunkeln leuchteten. Im Putz der Wände klafften große

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