Die Mayfair-Hexen
zurück; offenbar erfüllte es sie mit neuem Entsetzen, als sie sie jetzt sah, und sie war bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Das Licht aus dem Wageninneren schien Mary Jane ins Gesicht.
»O Gott, Mona Mayfair, was ist, wenn du stirbst?«
Mona packte Mary Janes Handgelenk, als sie sich aufrichtete; sie stellte beide Füße fest auf den weichen, von leeren, weiß schimmernden Muschelschalen durchsetzten Boden. Dort ragte der Steg in die Dunkelheit hinaus.
»Hör auf, das dauernd zu sagen, Mary Jane, sonst gebe ich dir für alle Fälle noch was, woran du dich erinnern kannst.« Mona wollte den Beutel mit den Lebensmitteln aufheben, aber sie konnte sich nicht mehr so tief bücken.
Mary Jane hatte die Laterne angezündet. Sie drehte sich um, und das Licht schien ihr von unten ins Gesicht und ließ sie gespenstisch aussehen. Licht fiel auch auf den verwitterten Schuppen hinter ihr und auf den kurzen, verfallenen Landungssteg und auf die Moosfetzen, die von den abgestorben aussehenden Ästen über ihr herabhingen.
Gott, da flog soviel Zeugs in der Dunkelheit herum.
»Mona Mayfair, deine Wangenknochen stehen richtig hervor!« jammerte Mary Jane. »Ich schwöre bei Gott, ich kann deine Zähne durch die Haut um den Mund sehen!«
»Ach, hör auf, du bist verrückt. Das macht das Licht, du siehst ja selber aus wie ein Gespenst.« Junge, sie fühlte sich gräßlich. Schwach und ganz zerschlagen. Sogar die Füße taten ihr weh.
»Und du würdest nicht glauben, was du für ‘ne Hautfarbe hast, mein Gott; du siehst aus, als ob du in Talkummilch getaucht worden wärst.«
»Mir fehlt nichts. Ich kann bloß dieses Zeug nicht hochheben.«
»Das hole ich schon. Lehn dich da an den Baum; das ist der Baum, von dem ich dir erzählt habe, die Zypresse, der älteste Baum hier in der Gegend, weißt du, das hier war nämlich der Teich, der kleine Teich. Weißt du? Wo die Familie immer gerudert ist.«
Die Scheinwerfer des Wagens bohrten sich in den Sumpf, tief hinaus in den endlosen Wald von Baumstämmen, dicken und dünnen, wilden, abgebrochenen Palmettostrünken und gezackten Bananenstauden. Das Wasser atmete und seufzte und rieselte, obwohl es stand, stinkend und regungslos.
»Du lieber Gott, das ist aber ‘ne wilde Gegend«, wisperte Mona. Aber in gewisser Weise war sie entzückt. Sie liebte diese kühle Luft, träge und weich, ohne jede Brise und trotzdem immer bewegt, vielleicht vom Wasser.
Mary Jane ließ die schwere Eistasche fallen.
»Hör mal, geh da zur Seite; wenn ich mich in den Wagen setze und drehe, um rauszufahren, dann guckst du da rüber, wo das Licht hinscheint. Dann siehst du Fontevrault.«
Sie schlug die Tür zu, und die Reifen knirschten im Kies.
Der große Wagen setzte rückwärts nach rechts, und die Strahlen der Scheinwerfer schwenkten über die spindeldürren Phantombäume, und sieh da, sieh da, dort war es, gewaltig und grausam schief im Licht. Die Dachbodenfenster im Giebel blitzten auf und erloschen wieder, als der Wagen seine Kurve vollendete.
Die Nacht wurde dunkel, aber was sie gesehen hatte, blieb zurück, eine riesige, schwarze Masse vor dem Himmel, unglaublich. Das Haus kippte um.
Fast hätte sie geschrien, obwohl sie nicht genau wußte, warum. Das konnte doch nicht das Haus sein, zu dem sie wollten, dieses schiefe Haus, dieses verkrüppelte Haus. Ein Haus, das unter Wasser stand, war eine Sache, aber das hier? Als der Wagen in einer kleinen, kraftvollen weißen Rauchwolke verschwand, sah sie, daß in dieser unglaublichen Ruine Licht brannte. Durch das halbrunde Fenster im ersten Stock, in der Mitte der Veranda, weit hinten, tief drinnen, sah sie Licht. Und als das Motorgeräusch verklungen war, glaubte sie einen Augenblick lang so etwas wie ein Radio zu hören.
Die Laterne war hell genug, aber hier auf dem Land war es finster, stockfinster. Da war nichts als die Laterne und dieser trübe Glutfunke von Licht in der verfallenen Villa.
Lieber Gott, Mary Jane weiß nicht, daß diese verdammte Bude in ihrer Abwesenheit gekentert ist! Wir müssen Granny da rausholen – vorausgesetzt, daß Granny nicht schon ohnehin mir nichts, dir nichts in den Bach gefallen ist! Und was für ein Bach, was für ein Schleim! Es war der grünste Geruch, den sie je gerochen hatte, oh, aber wenn sie hochschaute, glühte der Himmel in jenem Rosa, das die Nacht von Louisiana manchmal kreieren kann; die versinkenden Bäume streckten ihre hilflosen kleinen Äste aus, um sich aneinander festzuhalten, und das
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