Die Mayfair-Hexen
niemals aufhören. Die Menschen träumen davon, aber es kann nicht aufhören, solange es Menschen gibt. Freilich, wenn mein Volk wiederkäme und die Menschen von der Erde vertilgt würden, nun, dann könnte mein Volk in Frieden leben – aber glaubt das nicht jeder Stamm von sich?«
Michael schüttelte den Kopf. »Es muß ja keinen Streit geben. Es ist doch vorstellbar, daß alle Stämme aufhören, gegeneinander zu kämpfen.«
»Vorstellbar, ja, aber nicht möglich.«
»Das eine Volk braucht nicht über das andere zu herrschen«, beharrte Michael. »Sie brauchen nicht einmal von einander zu wissen.«
»Sie meinen, wir sollten in geheimer Abgeschiedenheit leben?« fragte Ash. »Wissen Sie, wie schnell sich unsere Zahl verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht? Wissen Sie, wie stark wir sind? Sie können es nicht wissen, sie haben nie gesehen, wie er in den ersten paar Minuten oder Stunden oder Tagen zu seiner vollen Größe heranwächst. Sie haben das nie gesehen.«
»Aber ich«, sagte Rowan. »Zweimal.«
»Und was meinen Sie? Was würde dabei herauskommen, daß ich mir eine Frau wünsche? Daß ich um Ihre verlorene Emaleth trauere und sie zu ersetzen suche? Daß ich Ihre unschuldige Mona mit dem Samen behellige, der vielleicht den Taltos zeugt, vielleicht aber auch ihren Tod herbeiführt?«
»Ich kann Ihnen nur eines sagen«, antwortete Rowan. »In dem Augenblick, als ich Emaleth erschoß, gab es in meinen Gedanken nicht den leisesten Zweifel daran, daß sie eine Gefahr für meine Art sei und daß sie sterben müsse.«
Ash lächelte und nickte. »Und Sie hatten recht.«
Alle schwiegen. Dann ergriff Michael das Wort.
»Jetzt kennen Sie unser schlimmstes Geheimnis.«
»Ja, jetzt kennen Sie es«, bestätigte Rowan leise.
»Und ich frage mich«, sagte Michael, »ob wir Ihres auch kennen.«
»Sie werden es erfahren«, versprach Ash. »Jetzt sollten wir schlafen, wir alle. Meine Augen tun weh. Und in der Firma warten hundert kleine Aufgaben auf mich, die nur ich erfüllen kann. Schlafen Sie jetzt; in New York erzähle ich Ihnen alles. Und Sie werden alle meine Gedanken erfahren, vom schlimmsten bis zum geringsten.«
23
»Mona, wach auf.«
Sie hörte den Sumpf, bevor sie ihn sah. Sie hörte die Ochsenfrösche schreien, die Nachtvögel und das Geräusch des Wassers ringsumher, trüb, still und doch irgendwie in Bewegung, vielleicht in einem verrosteten Rohr oder an der Wand eines Ruderboots; sie wußte es nicht. Sie hatten angehalten. Hier mußte der Landungssteg sein.
Der Traum war der seltsamste von allen gewesen. Sie hatte eine Prüfung zu absolvieren gehabt, und wer sie bestand, würde die Welt regieren; also hatte Mona jede einzelne Frage beantworten müssen. Fragen zu allen Gebieten waren es gewesen, zu Naturwissenschaft, Mathematik und Geschichte, zu ihrer geliebten Computertechnik, zum Börsen- und Aktienwesen und Fragen zum Sinn des Lebens, und die waren am schwierigsten gewesen, denn sie fühlte sich so lebendig, daß sie es nicht annähernd hätte rechtfertigen können. Wissen Sie, man weiß einfach, daß es herrlich ist, zu leben. Hatte sie die perfekten hundert Prozent erreicht? Würde sie die Welt regieren?
»Wach auf, Mona!« flüsterte Mary Jane.
Mary Jane sah nicht, daß Monas Augen schon offen waren. Mona schaute durch die Scheibe in den Sumpf hinaus, auf die zerklüfteten, schräggeneigten Bäume, kränkelnd und mit Moos behangen, und auf die Lianen, die sich wie Seile um die mächtigen alten Zypressen knoteten. Da draußen im Mondlicht sah sie Wasser zwischen den stillen Flächen der Entengrütze und den Knien der Zypressen, zahllose gefährliche Stacheln, die allenthalben rings um die dicken Stämme der alten Bäume emporragten. Und schwarze Etwas, kleine, schwarze Lebewesen, die durch die Nacht flogen. Konnten Kakerlaken sein, aber man dachte besser nicht darüber nach!
Mona tat der Rücken weh. Als sie versuchte, sich aufzusetzen, fühlte sie sich am ganzen Körper schwer und zerschlagen, und sie wollte wieder Milch. Zweimal hatte sie angehalten, damit sie Milch trinken konnte, und sie wollte immer noch mehr. Sie hatten Unmengen davon in der Kühltasche; am besten brachten sie alles ins Haus. Und dann trinken.
»Komm, Honey, du mußt aussteigen und genau hier auf mich warten; ich werd’ den Wagen irgendwo verstecken, wo ihn wahrscheinlich keiner findet.«
»Diesen Wagen verstecken, diesen riesenhaften Wagen?«
Mary Jane öffnete die Tür und half ihr heraus. Dann wich sie
Weitere Kostenlose Bücher