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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ihrer Satiriker und ihrer Rhetoriker.
    Natürlich konnte keiner von uns erfahren, wie ihr Leben wirklich war, ihr Milieu, um ein modernes Wort zu benutzen, ihre Volksseele, ihr Charakter. Aber wir lernten. Wir wußten jetzt, daß nicht alle Menschen Barbaren waren. Das war übrigens das Wort, das die Römer für jene Stämme benutzten, die Britannien jetzt in seiner Gänze bevölkerten, Stämme, die sie im Namen eines mächtigen Reiches zu unterwerfen gedachten.
    Unser Glen erreichten sie nie, obwohl sie zweihundert Jahre lang Feldzüge in Britannien unternahmen. Der Römer Tacitus schrieb die Geschichte von Agricolas frühem Feldzug, der bis Schottland vordrang. Im nächsten Jahrhundert wurde der Antonmuswall gebaut, ein Wunderwerk für die Barbarenstämme, die Rom widerstanden hatten, und ganz in der Nähe davon die fünfundvierzig Meilen lange Militärstraße, eine großartige Straße, auf der nicht nur Soldaten, sondern auch Händler reisten, die mit allen möglichen Waren und verlockenden Hinweisen auf andere Zivilisationen von der Küste ins Land kamen.
    Schließlich setzte der römische Kaiser Septimus Severus selbst nach Britannien über, um die schottischen Stämme zu unterwerfen, aber bis zu unseren Festungen drang er nicht vor.
    Danach blieben die Römer noch viele Jahre im Lande und brachten unserer kleinen Nation so manchen sonderbaren Gewinn.
    Als sie sich aus jenen Landstrichen zurückzogen und sie schließlich doch den Barbaren überließen, da waren wir eigentlich kein verborgenes Volk mehr. Hunderte von Menschen hatten sich in unserem Tal angesiedelt, entrichteten uns als ihren Herren ihren Tribut, bauten kleinere Brochs um unsere größeren und sahen in uns eine große, geheimnisvolle, aber alles in allem doch menschliche Herrscherfamilie.
    Es war nicht immer leicht, diesen Anschein aufrechtzuerhalten. Aber nirgends eignete sich das Leben in jener Zeit besser dafür. Andere Clans erblühten in ihren entlegenen Festungen. In unserem Land gab es keine Städte, sondern nur kleine Feudalsitze. Wegen unserer Körpergröße und unserer Weigerung, Mischehen einzugehen, hielt man uns für ungewöhnlich, aber in jeder anderen Hinsicht waren wir völlig akzeptiert.
    Natürlich kam es entscheidend darauf an, niemals irgendwelchen Außenseitern zu gestatten, unserem Geburtsritual beizuwohnen. Und dabei half uns das Kleine Volk, das von Zeit zu Zeit unseres Schutzes bedurfte, als Wächter.
    Wenn wir zwischen den Steinen unseren Kreis bilden wollten, teilten wir den geringeren Clans von Donnelaith mit, daß unsere Priester die Familienrituale nur in strengster Abgeschiedenheit zelebrieren konnten.
    Als wir kühner wurden, ließen wir die anderen dazukommen, aber nur bis zu den weit entfernten Außenkreisen. Nie konnten sie sehen, was die Priester im innersten Herzen der Versammlung taten. Nie sahen sie die Geburt. Sie stellten sich vor, es handle sich um irgendeine vage Art von Sonnen- und Himmelsanbetung, von Mond- und Sternenverehrung. Und so nannten sie uns eine Sippe von Zauberern.
    All das hing natürlich von der beträchtlichen, friedlichen Zusammenarbeit mit denen ab, die das Glen mit uns bewohnten, und dieser Zustand blieb jahrhundertelang stabil.
    Zusammenfassend gesagt, wir galten als Menschen unter Menschen. Und andere Taltos nahmen an unserer List teil; sie erklärten sich zu Pikten, erlernten unsere Schrift und trugen sie mitsamt unserem Bau- und Schmuckstil in ihre eigenen Festungen. Alle Taltos, die wirklich überleben wollten, lebten so und hielten die Menschen zum Narren.
    Nur die wilden Taltos huschten weiter in den Wäldern umher und riskierten Kopf und Kragen. Aber selbst sie kannten die Ogham-Schrift und unsere zahlreichen Symbole.
    So mochte es vorkommen, daß ein einzelner Taltos, der im Wald wohnte, ein Zeichen in einen Baum schnitzte, um andere Taltos wissen zu lassen, daß er da war, ein Zeichen, das für Menschen keinerlei Bedeutung hatte. Und wenn ein Taltos einen anderen in einem Gasthaus entdeckte, dann sprach er ihn oft an und machte ihm ein Geschenk, und dabei handelte es sich dann um eine Brosche oder eine Nadel mit unseren Emblemen.
    Ein schönes Beispiel dafür ist die Bronzenadel mit dem menschlichen Gesicht, die viele Jahrhunderte später von modernen Menschen in Sutherland entdeckt wurde. Wenn Menschen über diese Nadel schreiben, ist ihnen nicht klar, daß das Bild einen neugeborenen Taltos darstellt, der eben aus dem Mutterleib hervorkommt; der Kopf ist groß, die Arme

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