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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sind noch gefaltet, aber bereit, sich zu entfalten und zu wachsen, ganz wie die Flügel eines jungen Schmetterlings.
    Andere Symbole meißelten wir in Felsen, in Höhleneingänge oder auf unsere heiligen Steine, fantasievolle Darstellungen der Tiere im verlorenen Land des tropischen Überflusses.
    Was war unsere schlimmste Befürchtung? Die furchtbarste Bedrohung, sozusagen? Es war genug Zeit vergangen, so daß wir nicht mehr fürchteten, die Menschen könnten wirklich etwas über uns wissen. Aber die Kleinen Leute kannten uns, und die Kleinen Leute sehnten sich danach, sich mit uns fortzupflanzen, und auch wenn sie uns und unseren Schutz brauchten, machten sie uns doch bisweilen Schwierigkeiten.
    Aber die eigentliche Gefahr für unseren Frieden waren die Hexen. Hexen – jene einzigartigen Menschen, die uns wittern und die sich aus irgendeinem Grund mit uns fortpflanzen konnten oder die die Nachkommen jener waren, die sich mit uns fortgepflanzt hatten. Denn die Hexen – die natürlich sehr selten waren – überlieferten einander von der Mutter zur Tochter, vom Vater zum Sohn die Legenden über uns und die wunderbare Vorstellung, sie könnten, wenn es ihnen nur gelänge, sich mit uns zu paaren, riesengroße und schöne Ungeheuer schaffen, die niemals sterben würden. Andere, fantastische Ideen wucherten um diese Vorstellung herum: Wenn sie das Blut des Taltos tränken, würden die Hexen Unsterblichkeit erlangen, und wenn sie uns mit den richtigen Worten und den richtigen Flüchen töteten, könnten sie unsere Kräfte an sich binden.
    Und das Furchtbarste an all dem, der einzig reale, wirkliche Teil, bestarid darin, daß die Hexen oft schon auf den ersten Blick erkannten, daß wir nicht bloß hochgewachsene Menschen waren, sondern echte Taltos.
    Wir hielten sie fern von unserem Glen, und auf unseren Reisen achteten wir sorgsam darauf, der Dorfhexe oder dem Zauberer, der im Wald wohnte, aus dem Weg zu gehen. Aber natürlich hatten auch sie Grund, uns zu fürchten, denn auch wir erkannten sie unfehlbar auf den ersten Blick, und da wir sehr gescheit und sehr reich waren, konnten wir ihnen eine Menge Schwierigkeiten bereiten.
    Aber im großen und ganzen waren wir in unseren Festungen sicher.
    Das Glen von Donnelaith war inzwischen bekannt in der Welt. Und während die anderen Stämme miteinander stritten, ließ man unser Tal in Frieden, nicht weil die Menschen die Ungeheuer fürchteten, die dort hausten, sondern weil es die Festung geachteter Edelleute war.
    Es war ein großartiges Leben in jenen Jahren, aber ein Leben, dessen Kern eine Lüge war. Und so mancher junge Taltos ertrug das nicht. Er zog in die Welt hinaus und kehrte nie zurück. Und manchmal kamen Taltos-Hybriden zu uns, die keine Ahnung hatten, wer oder was sie geschaffen hatte.
    Und ganz allmählich, im Laufe der Zeit, geschah etwas Törichtes: Einige von uns vermählten sich mit Menschen.
    Das geschah auf folgende Weise. Einer unserer Männer begab sich zum Beispiel auf eine weite Pilgerreise und begegnete in einem dunklen Wald einer einsamen Hexe, in die er sich verliebte, eine Hexe, die ohne Schwierigkeiten seine Nachkommenschaft zur Welt bringen konnte. Er liebte diese Hexe, sie liebte ihn, und als armes Lumpengeschöpf lieferte sie sich ihm auf Gnade und Ungnade aus. Er nahm sie mit nach Hause, und irgendwann später gebar sie ihm vielleicht noch ein Kind, bevor sie starb. Und manche dieser Hybriden heirateten andere Hybriden.
    Manchmal kam es auch vor, daß eine schöne Taltos-Frau sich in einen Menschen verliebte und um seinetwillen alles verließ. Sie waren oft jahrelang zusammen, bevor sie gebar, aber dann kam ein Hybride zur Welt, und das ließ die kleine Familie noch enger zusammenwachsen, denn der Vater sah die Ähnlichkeit zwischen sich und dem Kind und erhob Anspruch auf seine Loyalität, und natürlich war es ein Taltos.
    Und So kam es, daß der Anteil des Menschenbluts in unseren Adern zunahm, und so gelangte unser Blut in den menschlichen Clan von Donnelaith, der uns am Ende überlebte.
    Ich will stillschweigend über die Trauer hinweggehen, die wir zuweilen empfanden, und auch über die Gefühle, denen wir bei unseren geheimen Ritualen Ausdruck verliehen. Ich möchte nicht erst versuchen, unsere langen Gespräche wiederzugeben, in denen wir den Sinn dieser Welt und die Frage erwogen, weshalb wir unter Menschen leben mußten.
    Was ist heute vom Glen noch übrig?
    Wo sind die zahllosen Brochs und Rundhütten, die wir bauten? Wo sind unsere

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