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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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über unsere Götter. Wir ermunterten nicht zu Fragen nach unserem Leben oder unseren Kindern.
    Aber wir lebten als Edelleute, und wir achteten das Konzept der Ehre und waren stolz auf unsere Heimat.
    Es ging zunächst alles wunderbar. Und als die Tore des Glen sich schließlich öffneten, kamen zum erstenmal neue Kenntnisse von außen zu uns herein. Rasch lernten wir nähen und weben, und das Weben erwies sich als Falle für die oft so besessenen Taltos. Männer, Frauen, alle webten. Wir webten Tag und Nacht. Wir konnten überhaupt nicht mehr aufhören damit.
    Das einzige Mittel bestand darin, sich einem neuen Handwerk zuzuwenden und es zu meistern. Das Bearbeiten von Metall. Wir erlernten es. Und auch wenn wir nie mehr als ein paar Münzen schmiedeten und ein paar Pfeilspitzen fertigten, waren wir doch eine ganze Weile völlig verrückt danach.
    Auch das Schreiben war zu uns gelangt. Andere Völker waren an den Gestaden Britanniens gelandet, und anders als die ungehobelten Krieger, die unsere Welt der Ebene zerstört hatten, schrieben diese Leute alles mögliche auf Steine oder Tafeln oder Schafhäute, die sie besonders bearbeitet hatten, so daß sie haltbar waren und wunderbar anzusehen und zu fühlen.
    Die Schriften auf diesen Steinen, Tafeln und Pergamenten waren Griechisch und Latein! Und wir erlernten das Schreiben von unseren Sklaven, kaum daß wir den wunderbaren Zusammenhang zwischen Wörtern und Symbolen erkannt hatten. Später dann lernten wir von den reisenden Gelehrten, die in unser Tal kamen.
    Tatsächlich wurde es für viele von uns zur Obsession, besonders für mich. Wir schrieben und lasen unaufhörlich und übersetzten unsere eigene Sprache, die viel älter ist als jede andere in Britannien, in geschriebene Wörter. Wir entwickelten eine Schrift namens Ogham, und aus ihr entstanden unsere geheimen Niederschriften. Sie können diese Schrift auf vielen Steinen im nördlichen Schottland sehen, aber heute kann sie niemand mehr entziffern.
    Unsere Kultur, der Name, den wir angenommen hatten – Pikten -, unsere Kunst und unsere Schrift sind noch heutigen Tages ein gänzlich ungelöstes Rätsel. Den Grund dafür werden Sie bald erfahren – den Grund für den Verlust der piktischen Kultur.
    Unter praktischen Erwägungen frage ich mich manchmal, was wohl aus den Wörterbüchern geworden sein mag, die ich so mühevoll zusammenstellte; endlose Monate lang arbeitete ich ohne Unterbrechung daran, und nur hin und wieder fiel ich für ein paar Stunden Schlaf auf mein Lager oder schickte nach einem Imbiß.
    Ich versteckte sie in den unterirdischen Behausungen, in den Erdhäusern, die wir unter dem Talboden des Glens anlegten, als letzte Zuflucht für den Fall, daß die Menschen erneut über uns herfielen. Auch viele der griechischen und lateinischen Manuskripte, die ich in jenen ganz frühen Tagen studierte, versteckte ich dort.
    Eine andere gefährliche Falle für uns, ein Gegenstand, der uns in Trance versetzen konnte, war die Mathematik. Einige der Bücher, die in unseren Besitz gelangten, befaßten sich mit Theoremen der Geometrie; tagelang diskutierten wir darüber und zeichneten Dreiecke in die Erde.
    Was ich sagen will: Es waren aufregende Zeiten für uns. Unsere List verschaffte uns vortrefflichen Zugang zu neuen Entwicklungen. Und auch wenn wir die törichten jungen Taltos die ganze Zeit im Auge behalten und schelten mußten, um zu verhindern, daß sie sich Fremden anvertrauten oder sich in ihre Männer oder Frauen verliebten, erfuhren wir im großen und ganzen doch eine Menge über die Römer, die nach Britannien gekommen waren, und wir erkannten, daß diese Römer die keltischen Barbaren bestraft hatten, die uns solche Grausamkeiten zugefügt hatten.
    Die Römer schenkten dem Taltos-Aberglauben der Einheimischen übrigens keinen Glauben. Sie sprachen von einer zivilisierten Welt, unermeßlich und voll großer Städte.
    Aber wir fürchteten auch die Römer. Zwar bauten sie prachtvolle Häuser, wie wir sie noch nie gesehen hatten, aber sie verstanden sich auch besser auf das Kriegshandwerk als andere. Wir hörten zahllose Geschichten von siegreichen Schlachten. Sie hatten die Kriegskunst vervollkommnet und waren noch erfolgreicher im Zerstören von Leben. Wir blieben in unserem entlegenen Glen. Wir wollten ihnen nicht auf dem Schlachtfeld begegnen.
    Mehr und mehr Händler brachten uns ihre Bücher und Schriftrollen, und ich verschlang die Werke ihrer Philosophen, ihrer Schriftsteller, ihrer Dichter,

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