Die Mayfair-Hexen
anmerken: Diese Christen waren einst ebenfalls gejagt und verfolgt und mit Vernichtung bedroht worden. Diokletian, der römische Kaiser, hatte ihnen diese Dinge angetan. Flüchtlinge kamen und suchten Schutz in unserem Glen, und wir gewährten ihn.
Und die Christen eroberten unsere Herzen. Wenn wir mit ihnen sprachen, gelangten wir zu der Überzeugung, daß die Welt sich möglicherweise änderte. Wir glaubten, daß ein neues Zeitalter heraufgedämmert und daß die Wiedereinsetzung in unseren früheren Stand nun nicht mehr unvorstellbar sei.
Uns vollends zu verführen, war nicht mehr schwer.
Ein einzelner Mönch kam zufluchtsuchend in unser Glen. Wilde, umherstreifende Heiden hatten ihn dorthin gejagt, und er bat um Unterschlupf. Natürlich hätten wir einen solchen Menschen niemals abgewiesen; ich holte ihn zu mir in meinen eigenen Broch, in meine eigene Behausung, um ihn über die Außenwelt auszufragen; ich hatte mich nämlich seit einer Weile nicht mehr hinausgewagt.
Es war um die Mitte des sechsten Jahrhunderts nach Christus, aber das wußte ich nicht. Wenn Sie wissen wollen, wie wir aussahen, stellen Sie sich Männer und Frauen in langen, ziemlich schlichten, pelzbesetzten Gewändern vor, bestickt mit Gold und Edelsteinen. Denken Sie sich die Männer mit Haaren, die über der Schulter abgeschnitten waren. Ihre Gürtel waren breit, die Schwerter stets griffbereit. Die Frauen bedeckten ihr Haar mit Seidenschleiern unter schlichten goldenen Diademen. Unsere Türme sehr kahl, aber warm und behaglich, mit Pelzen und bequemen Sesseln eingerichtet. Tosende Feuer, die uns warm hielten. Und wir alle natürlich groß, wir alle groß.
Sehen Sie mich vor sich in meinem Broch, allein mit diesem kleinen, flachsblonden Mönch in brauner Kutte, der eifrig den guten Wein entgegennimmt, den ich ihm anbiete.
Er schleppte ein dickes Bündel mit sich, das er unbedingt retten müsse, wie er sagte, und sogleich bat er mich um eine Eskorte, die ihn wohlbehalten zur Insel Iona begleiten könne. Ursprünglich seien sie zu dritt gewesen, aber Räuber hätten die beiden anderen ermordet, und jetzt sei er erbärmlich allein und auf den guten Willen anderer angewiesen, und er müsse sein kostbares Bündel nach Iona bringen – lieber verlöre er sein Leben als dieses Bündel.
Ich versprach ihm, dafür zu sorgen, daß er unversehrt nach Iona gelangte. Er stellte sich als Bruder Ninian vor, benannt nach jenem vormaligen Heiligen, Bischof Ninian, der zu Whittern in seiner Kapelle oder seinem Kloster – oder was es sonst gewesen war – so manchen Heiden bekehrt hatte. Auch ein paar wilde Taltos hatte der Bischof schon bekehrt.
Der junge Ninian, ein sehr gewinnender und hübscher irischer Kelte, breitete sein Bündel aus und offenbarte dessen Inhalt.
Nun hatte ich im Laufe der Zeit schon viele Bücher gesehen, römische Pergamentrollen wie auch den Codex, der jetzt die verbreitete Form war. Ich konnte Latein, ich konnte Griechisch. Ich hatte sogar schon ein paar sehr kleine Bücher gesehen, sogenannte cathachs, die die Christen als Talismane bei sich trugen, wenn sie in die Schlacht ritten. Die wenigen Bruchstücke christlicher Schriften, die ich schon gesehen hatte, hatten mich fasziniert, aber auf den Schatz, den Ninian mir jetzt zeigte, war ich nicht vorbereitet.
Es war ein prachtvolles Altarbuch, das er da bei sich trug, ein großartiges, illustriertes und illuminiertes Exemplar der vier Evangelien. Der vordere Deckel war mit Gold und Edelsteinen verziert, das ganze Buch war in Seide gebunden, und die Seiten waren mit atemberaubenden kleinen Bildern gefüllt.
Ich stürzte mich sofort auf dieses Buch und verschlang es buchstäblich. Ich las das Lateinische laut, und wenn auch ein paar Unregelmäßigkeiten darin enthalten waren, so verstand ich doch das meiste, und ich verfolgte die Geschichte wie ein Besessener – was freilich für einen Taltos nicht ungewöhnlich war. Es war wie Singen.
Aber als ich die Pergamentseiten eine nach der anderen betrachtete, staunte ich nicht nur über die Geschichte, die mir da erzählt wurde, sondern auch über die unglaublichen Bilder mit den fantastischen Tieren und kleinen Gestalten. Es war eine Kunst, die mich wirklich entzückte, denn ich hatte ganz Ähnliches vollbracht.
Tatsächlich gab es auf den Inseln zu jener Zeit viel derartige Kunst. In späteren Zeiten würde man sagen, sie sei ungehobelt, dann aber doch ihre Komplexität und ihren Einfallsreichtum schätzen lernen.
Um nun die
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