Die Mayfair-Hexen
sie zischeln und wispern und lachen.
Samuel war damals noch nicht geboren, und so war er nicht dabei, aber Aiken Drumm und andere, die heute noch leben, waren unter denen, die da riefen. »Ashlar, der Narr der Christen, hat sein Volk verraten!« Oder: »Ashlar, kommt mit uns, mach ein neues Volk von Riesen, und wir werden die Welt beherrschen!« und anderes solches Zeug. Aiken Drumm war mir schon immer zuwider gewesen. Er war damals noch jung, und sein Gesicht war nicht so knorrig, daß man die Augen nicht mehr sehen konnte. Und als er jetzt durch das Unterholz huschte und mir die Faust entgegenschüttelte, da war sein Gesicht voller Bosheit.
»Ashlar, jetzt verläßt du das Glen, nachdem du alles zerstört hast? Möge Janets Fluch über dich kommen!«
Schließlich aber wichen alle vor mir zurück, und zwar aus einem schlichten Grund: Ich näherte mich einer Höhle im Berghang, die ich – aus naheliegenden Gründen – völlig vergessen hatte.
Ohne nachzudenken, hatte ich einen Weg eingeschlagen, den frühere Stämme benutzt hatten, um dort zu beten. In den alten Zeiten, als die Taltos noch in der Ebene von Salisbury lebten, harten diese Stämme die Höhle mit Schädeln gefüllt, und spätere Völker hatten die Höhle als einen Ort finsterer Götzenanbetung verehrt.
In den letzten Jahrhunderten hatten die Bauern geschworen, in dieser Höhle gebe es eine offene Tür, durch die man die Stimmen der Hölle oder den Gesang des Himmels hören könne.
Im Wald in der Nähe hatte man Geister gesehen, und mitunter trotzten Hexen unserem Zorn und wagten sich hierher. Es hatte zwar Zeiten gegeben, da wir in furchterregenden Horden in die Berge hinaufgeritten waren, um sie zu vertreiben, aber in den letzten zweihundert Jahren hatten wir uns kaum noch um sie gekümmert.
Ich selbst war in meinem ganzen Leben nur zweimal dort gewesen, aber ich hatte nicht die geringste Angst vor der Höhle. Und als ich sah, daß die Kleinen Leute sich fürchteten, da war ich nur froh, sie los zu sein.
Aber als mein Pferd sich über den alten Pfad der Höhle näherte, sah ich, daß flackernde Lichter in der dichten Dunkelheit spielten. Allmählich erkannte ich, daß da eine rohe Behausung im Berghang saß, vielleicht auch eine Höhle, mit Steinen verschlossen, so daß nur eine kleine Tür und ein Fenster offen blieben; weiter oben war noch ein Loch, durch das der Rauch entkam.
Und das Licht flackerte durch Risse und Spalten in der groben Mauer.
Und dort, ein ganzes Stück höher, lag der Pfad zu der großen Höhle, deren klaffendes Maul jetzt von Kiefern und Eichen und Eiben vollständig verborgen wurde.
Ich wollte mich der kleinen Behausung fernhalten, kaum daß ich sie entdeckt hatte. Wer in der Nachbarschaft dieser Höhle wohnte, konnte nur Unheil bringen.
Die Höhle selbst aber übte eine unbestimmte Faszination auf mich aus. Ich glaubte an Christus, auch wenn ich gegen meinen Abt ungehorsam gewesen war, und ich fürchtete die Heidengötter nicht, denn ich glaubte nicht an sie. Aber ich verließ meine Heimat, und ich würde vielleicht niemals zurückkehren. Und ich fragte mich, ob ich die Höhle nicht besuchen und vielleicht sogar ein Weilchen dort rasten sollte, verborgen und sicher vor dem Kleinen Volk.
29
»Jetzt hört mir zu, alle beide«, sagte sie, ohne den Blick von der Straße zu wenden. »An diesem Punkt werde ich die Führung übernehmen. Ich denke darüber nach, seit ich geboren wurde, und ich weiß genau, was wir tun müssen. Schläft Granny da hinten?«
»Tief und fest«, antwortete Mary Jane vom Beifahrersitz, wo sie sich seitwärts hingestreckt hatte, um Morrigan am Steuer zu beobachten.
»Was heißt das?« fragte Mona. »Du willst die Führung übernehmen?«
»Genau das«, sagte Morrigan. Ihre beiden Hände lagen nebeneinander oben auf dem Lenkrad und hielten es locker umfasst; sie fuhren jetzt seit einer Weile neunzig Meilen pro Stunde, und offensichtlich würde kein Cop sie anhalten. »Ich habe euch zugehört, wie ihr diskutiert und diskutiert, und ihr klebt an Dingen fest, um die es absolut nicht geht, sozusagen an moralischen Formalitäten.«
Morrigans Haar fiel ihr zerzaust über Schultern und Arme – in leuchtendem Rot, soweit Mona es erkennen konnte, aber in dem gleichen Farbton wie ihr eigenes Haar. Und die gespenstische Ähnlichkeit zwischen ihren Gesichtern brachte Mona völlig aus der Fassung, wenn sie Morrigan zu lange anschaute. Und was die Stimme anging, nun, da lag die große Gefahr auf der
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