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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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mühsam den Gott eines Volkes, das uns fürchtete, um Erlösung anflehten.
    »Lies hier meine Worte, Vater«, schrieb ich, »der Du sie nicht hören wolltest, als ich versuchte, sie Dir zu sagen. Sieh sie hier aufgeschrieben in der Sprache des Hieronymus, des Augustinus, des Papstes Gregor. Und wisse, daß ich die Wahrheit sage und mich danach sehne, in die Kirche Gottes einzugehen als das, was ich wirklich bin. Denn wie sonst werde ich je das himmlische Königreich betreten können?«
    Schließlich war meine Aufgabe vollendet.
    Ich lehnte mich zurück und betrachtete den Buchdeckel, den ich selbst mit Juwelen geschmückt, die Bindung, die ich selbst aus Seide gefertigt, die Lettern, die ich selbst geschrieben hatte.
    Sogleich schickte ich nach Pater Ninian und legte ihm das Buch vor. Ganz still saß ich da, während er das Werk in Augenschein nahm.
    Ich war zu stolz auf das, was ich geschaffen hatte, zu sicher, daß unsere Geschichte in den gewaltigen Bibliotheken der Kirchendoktrin und Kirchengeschichte schon irgendwo ihren bestätigenden Kontext finden würde. »Was immer sonst noch geschehen mag«, dachte ich, »ich habe die Wahrheit berichtet. Ich habe berichtet, wie es war und wofür Janet lieber sterben wollte.«
    Nichts hätte mich auf Ninians Miene vorbereiten können, als er das Buch zuklappte.
    Eine ganze Weile sagte er gar nichts. Dann fing er an zu lachen, und er lachte und lachte.
    »Ashlar«, sagte er. »Hast du den Verstand verloren? Oder warum erwartest du, daß ich so etwas zu Vater Columba bringe?«
    Ich war wie vom Donner gerührt. Mit zaghafter Stimme sagte ich: »Ich habe mein Bestes getan.«
    »Ashlar«, sagte er, »dies ist das schönste Buch seiner Art, das ich je gesehen habe. Die Illustrationen sind vollkommen ausgeführt, der Text in makellosem Latein verfaßt, strotzend von hundert anrührenden Formulierungen. Es ist unvorstellbar, daß ein Mann so etwas in weniger als drei oder vier Jahren erschaffen könnte, in der Einsamkeit des Skriptoriums von Iona, und wenn ich mir vorstelle, daß du es hier und binnen eines einzigen Jahres gemacht hast, dann kann ich es nur noch als wunderbar bezeichnen.«
    »Aber?«
    »Aber der Inhalt, Ashlar! Das ist Blasphemie! Im Latein der Heiligen Schrift und im Stil eines Altarbuches schreibst du heidnische Verse und Geschichten voller Wollust und Monstrosität! Ashlar, dies ist die Form für die frohe Botschaft des Herrn, für einen Psalter! Was ist nur in dich gefahren, daß du deine frivolen Zaubergeschichten auf diese Weise zu Papier bringst?«
    »Vater Columba soll diese Worte lesen und sehen, daß sie wahr sind.«
    Aber ich hatte bereits verstanden, was er meinte. Meine Verteidigungsschrift bedeutete nichts.
    Als er mich so niedergeschmettert sah, lehnte er sich zurück, faltete die Hände und sah mich an.
    »Vom ersten Tag an, da ich in dein Haus kam«, sagte er, »wußte ich, wie einfältig und wie gut du bist. Nur du hättest einen so törichten Irrtum begehen können. Leg es beiseite; leg deine ganze Geschichte ein für allemal beiseite! Widme deine außergewöhnlichen Talente den richtigen Gegenständen.«
    Einen Tag und eine Nacht lang dachte ich darüber nach.
    Ich wickelte mein Buch sorgfältig ein und gab es Ninian.
    »Ich bin dein Abt hier in Donnelaith. Man hat mich feierlich dazu ernannt. Nun, dies ist der letzte Befehl, den ich dir geben werde. Bringe dieses Buch zu Vater Columba, wie ich es dir gesagt habe. Und sag ihm, ich hätte beschlossen, auf eine Wallfahrt zu gehen. Ich weiß nicht, wie lange ich fort sein werde, oder wo ich hingehe. Wie du aus diesem Buch ersehen kannst, erstreckt mein Leben sich bereits über viele Generationen. Vielleicht werde ich ihn nie wieder zu Gesicht bekommen, und dich auch nicht. Aber ich muß gehen. Ich muß die Welt sehen. Und ob ich jemals hierher oder zu unserem Herrn zurückkehre, das weiß nur Er.«
    Ninian wollte protestieren. Aber ich blieb unerbittlich. Er wußte, daß er ohnehin bald nach Iona würde heimkehren müssen, und so gab er nach. Er wies mich warnend darauf hin, daß ich keine Erlaubnis von Columba hätte, fortzugehen, aber ihm war klar, daß mich das nicht kümmerte.
    Endlich machte er sich auf den Weg, mit dem Buch und einer starken Eskorte von fünf Menschen.
    Ich habe das Buch nie wiedergesehen, bis Stuart Gordon es in seinem Turm in Somerset vor mir auf den Tisch legte.
    Ob es Iona je erreicht hat, weiß ich nicht.
    Ich vermute aber, daß es hingelangt ist und daß es viele Jahre

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