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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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zuschauen, wie sie hüpften und kreiselten und vor und zurück wippten, und dann sprang eine kleine Kreatur mit langen, zo t tigen grauen Haaren mitten in den Kreis, reckte die kurzen, verwachsenen Arme und schrie in der uralten Sprache durch die heulende Musik:
    »Oh, ihr Götter habt Erbarmen. Habt Erbarmen mit euren ve r lorenen Kindern.«
    Schau hin, sieh zu, sagte er sich, obgleich die Musik ihm nicht einmal im Geiste erlaubte, diese Silben zu artikulieren. Schau hin, sieh zu, verliere dich nicht in ihrem Lied. Sieh dir an, was für Lumpen sie jetzt tragen, schau die Patronengurte an, die sie sich über die Schultern geschlungen haben. Sieh die Pist o len in ihren Händen – und jetzt, jetzt schießen sie damit, und winzige Flammen zucken aus den Läufen! Schüsse knallen durch die Nacht! Die Fackeln verlöschen fast im Wind und blühen dann wieder auf wie gespenstische Blumen.
    Er roch brennendes Fleisch, aber das war nicht real; es war nur Erinnerung. Er hörte Schreie.
    »Sei verflucht, Ashlar!«
    Und Hymnen, o ja, Hymnen und Kirchenlieder in der neuen Sprache, in der Sprache der Römer, und dieser Gestank, der Gestank von verbranntem Fleisch!
    Ein lauter, scharfer Aufschrei zerriß den Lärm. Die Musik brach ab; nur eine Trommel ließ vielleicht noch zwei dumpfe Töne erklingen.
    Er erkannte, daß es sein eigener Aufschrei gewesen war und daß sie ihn gehört hatten. Weglaufen – aber warum wegla u fen? Wozu? Wohin? Du brauchst nicht mehr wegzulaufen. Du gehörst nicht mehr zu diesem Ort! Niemand kann dich zwi n gen, dazuzugehören!
    In eisigem Schweigen schaute er zu, und sein Herz raste, als der kleine Zirkel von Gestalten sich zusammenzog. Die Fa c keln flackerten jetzt dicht beieinander, und die kleine Meute schob sich langsam heran.
    »Taltos!« Sie hatten ihn gewittert! Die Gruppe zerstob mit wi l dem Geschrei und wuchs dann wieder zu einer kleinen Einheit zusammen.
    »Taltos!« schrie eine rauhe Stimme. Die Fackeln kamen immer näher.
    Jetzt konnte er ihre Gesichter deutlich erkennen, als sie ihn umringten, zu ihm aufspähten, ihre Fackeln hochhielten, daß die Flammen häßliche Schatten über ihre Gesichter, ihre A u gen und die kleinen Münder warfen. Und der Geruch, der G e ruch nach brennendem Fleisch, kam von ihren Fackeln!
    »Gott, was habt ihr getan!« zischte er und ballte die Fäuste. »Habt ihr sie in das Fett eines ungetauften Kindes getaucht?«
    Kreischend machte sich wildes Gelächter breit, dann gleich noch einmal, und schließlich erhob sich eine ganze Wand von gackerndem Lärm und umringte ihn.
    Er drehte sich um sich selbst, immer rundherum.
    »Ekelhaft!« fauchte er, so wütend, daß ihn seine eigene Wü r de nicht mehr kümmerte, und auch nicht die unvermeidliche Verzerrung seines Gesichts.
    »Taltos«, sagte einer, der ganz nah herangekommen war. »Taltos!«
    Sieh sie dir an, sieh, was sie sind. Er ballte seine Fäuste noch fester, schickte sich an, sie abzuwehren, sie zu vertreiben, sie hochzuheben und nach links und rechts zur Seite zu schleudern, wenn es notwendig sein sollte.
    »Aye, Aiken Drumm!« rief er; er hatte den Alten erkannt, de s sen grauer Bart wie schmutziges Moos bis zur Erde reichte. »Und Robin und Rogart, ich sehe euch auch!«
    »Aye, Ashlar!«
    »Ja, und Fyne und Urgart. Und dich sehe ich, Rannoch!« Und erst jetzt wurde es ihm klar. Es waren überhaupt keine Frauen mehr unter ihnen! Alle Gesichter, die ihm da entgegenstarrten, waren Männergesichter, Männer, die er schon immer gekannt hatte. Keine Vetteln waren dabei, keine Weiber, die ihm kreischend die Arme entgegenstreckten. Es waren keine Frauen mehr bei ihnen!
    Er fing an zu lachen. War das wirklich wahr? Jawohl! Er trat vor, streckte die Hände aus, trieb sie zurück. Urgart schwenkte die Fackel dicht vor ihm vorbei, um ihn zu verletzen oder um ihn besser zu beleuchten.
    »Aaaahhh, Urgart!« rief er und griff nach ihm, ohne sich um die Flamme zu kümmern, als wollte er den kleinen Mann bei der Gurgel packen und hochheben.
    Mit gutturalem Geschrei verstreuten sie sich wild in der Finsternis. Männer, nur Männer. Männer, und nicht mehr als höchstens noch vierzehn. Nur Männer. Oh, zum Teufel, wa r um hatte Samuel ihm das nicht gesagt?
    Er sank langsam auf die Knie und lachte. Er ließ sich auf den Waldboden kippen, so daß er durch das Zweiggeflecht der Kiefern zum Himmel hinaufschauen konnte, wo die Sterne sich prachtvoll über den Wolkenschleiern erhoben und der Mond sanft nach Norden

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