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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Worte trieben ins Nichts. »Oh, bitte, nur noch einmal, um der Barmherzigkeit willen…«, flüsterte er.
    Schweigen antwortete ihm.
    Trotz der Kälte schwitzte er. Er spürte den Schweiß auf dem Rücken unter dem Hemd und auch auf der Taille, unter dem Ledergürtel, der sich straff um seine Hose spannte. Er spürte die Feuchtigkeit wie etwas Schmieriges, Schmutziges auf der Stirn.
    »Warum bin ich gekommen?« fragte er, und diesmal klang seine Stimme klein und fern. Er strengte sich an und sprach so laut er konnte. »Weil ich gehofft habe, daß du wieder meine Hand nehmen könntest, hier, wie du es schon einmal getan hast, und mir Trost spendest!«
    Die geschwollenen Worte verhallten, und er blieb erschüttert zurück.
    Was sich an diesem Ort sammelte, war keine zarte Erscheinung, sondern die Erinnerungen an das Glen, die ihn nie ve r lassen würden. Die Schlacht, der Rauch. Er hörte die Schreie! Er hörte wieder ihre Stimme, die aus den Flammen kam: »… verflucht, Ashlar!« Die Hitze und die Wut trafen seine Seele, wie sie seine Trommelfelle getroffen hatten. Einen Moment lang spürte er das alte Grauen und die alte Überzeugung.
    »… möge die Welt um dich herum zerfallen, ehe dein Leiden zu Ende ist!«
    Stille.
    Er mußte zurück, mußte jetzt den engeren Durchgang finden. Er würde fallen, wenn er hier bliebe, ohne etwas sehen, ohne etwas tun zu können, außer sich zu erinnern. Voller Panik machte er kehrt und rannte los, bis er die rauhen Steinwände fühlte, die um ihn herum zusammenrückten.
    Als er endlich die Sterne wieder sah, seufzte er so tief, daß ihm die Tränen zu kommen drohten. Still stand er da und drückte die Hand aufs Herz, und der Klang der Trommeln stieg zu ihm herauf, vielleicht weil der Wind sich wieder gelegt hatte und ihn nichts mehr daran hinderte, näher zu kommen. Eine Kadenz hatte begonnen, schnell und spielerisch und dann wieder langsam, als würden die Trommeln zu einer Hinrichtung geschlagen.
    »Nein – hinweg von mir!« flüsterte er. Er mußte diesem Ort entrinnen. Irgendwie mußten Ruhm und Reichtum ihm jetzt zur Flucht verhelfen. Er durfte nicht auf diesem Gipfel stranden, dem Grauen der Trommeln ausgesetzt, zu denen die Flöten jetzt eine klare und bedrohliche Melodie spielten. Wie hatte er so töricht sein können, hier herzukommen? Und die Höhle lebte und atmete dicht hinter ihm.
    Helft mir. Wo waren die, die sonst jedem seiner Befehle g e horchten? Er war ein Narr gewesen, sich von ihnen zu trennen und allein zu diesem schrecklichen Ort hinaufzuklettern. Der Schmerz war so schneidend, daß er ein leises Geräusch von sich gab, wie ein Kind, das weinte.
    Er lief bergab. Es kümmerte ihn nicht, ob er stolperte, ob er sich den Mantel zerriß oder sich mit den Haaren hier und da verfing; er riß sich jedesmal los und lief weiter. Die Steine u n ter seinen Füßen taten ihm weh, aber sie hielten ihn nicht auf.
    Die Trommeln wurden lauter. Er mußte dicht an ihnen vorbeilaufen. Er mußte diese Flöten hören, ihren nasalen, pulsierenden Klang, häßlich und unwiderstehlich zugleich. Nein, hör nicht hin. Halte dir die Ohren zu. Immer weiter kletterte er hi n unter, doch obwohl er sich die Hände an die Ohren preßte, hörte er die Flöten und die düstere alte Kadenz, langsam und monoton und plötzlich stampfend, als komme sie von innen aus seinem Gehirn, als dringe sie aus seinen eigenen Kn o chen, als stünde er mitten darin.
    Er fing an zu rennen; einmal fiel er hin und zerriß sich das fe i ne Tuch seiner Hose, und ein zweites mal kippte er vornüber und zerschrammte sich die Hände an Steinen und zerrissenen Büschen. Aber er lief immer weiter, bis die Trommeln ihn plöt z lich umgaben. Die Flöten umgaben ihn. Das durchdri n gende Lied umschlang ihn wie ein Seil, und er drehte und drehte sich um sich selbst und konnte nicht mehr entkommen. Als er die Augen öffnete, sah er durch den dichten Wald das Licht der Fackeln.
    Sie wußten nicht, daß er da war. Sie hatten ihn nicht gewittert und nicht gehört. Vielleicht war der Wind auf seiner Seite, wehte in seine Richtung. Er umklammerte die Stämme zweier kleiner Kiefern, als wären es die Gitterstäbe eines Gefängni s ses, und schaute hinunter auf den kleinen, dunklen Platz, auf dem sie spielten und in ihrem kleinen, drolligen Kreis tanzten. Wie tolpatschig sie waren. Wie grausig in seinen Augen.
    Trommeln und Flöten machten ein scheußliches Getöse. Er konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Er konnte nur

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