Die Mayfair-Hexen
hinterlassen.«
Ash dachte eine ganze Weile nach. »Wahrscheinlich ist es gut so«, sagte er. »Warum hast du mir nicht gesagt, daß die Fra u en fort sind?«
»Dummkopf. Ich hätte dich nicht gehen lassen, wenn es noch Frauen gäbe. Das hättest du wissen können. Du denkst nicht nach. Du zählst die Jahre nicht. Du benutzt deinen Verstand nicht. Du spielst mit deinem Spielzeug und deinem Geld und all deinen schönen Sachen, und du vergißt. Du vergißt, und deshalb bist du glücklich.«
Der Wagen fuhr sie vom Flughafen der Stadt entgegen.
»Willst du wieder nach Hause zu deinem Spielplatz im Himmel?« fragte Samuel.
»Nein. Das weißt du. Ich muß den Zigeuner finden«, sagte Ash. »Ich muß das Geheimnis der Talamasca ergründen.«
»Und die Hexe?«
»Ja.« Ash lächelte und sah Samuel an. »Die Hexe muß ich vielleicht auch finden. Zumindest ihr rotes Haar berühren, ihre weiße Haut küssen, ihren Duft trinken.«
»Und…?«
»Woher werde ich es wissen, kleiner Mann?«
»Oh, du wirst es wissen. Das weißt du.«
»Dann laß mich in Frieden. Denn wenn es geschehen soll, sind meine Tage endlich gezählt.«
6
Es war acht Uhr, als Mona die Augen öffnete. Sie hörte, wie die Uhr schlug, langsam und in tiefen, vollen Tönen. Aber g e weckt hatte sie ein anderes Geräusch, das scharfe Klingeln eines Telefons. Es muß aus der Bibliothek kommen, überlegte sie, aber es war viel zu weit weg und klingelte schon viel zu lange, als daß es noch Sinn gemacht hätte hinzugehen. Sie drehte sich um, kuschelte sich auf der großen Samtcouch mit den vielen losen Kissen zusammen und schaute durch das Fenster in den Garten hinaus, der von der Morgensonne übe r strahlt wurde.
Die Sonne schien auch durch die Fenster herein und ließ den Boden vor der Seitenveranda bernsteingelb und wunderschön erglänzen.
Das Telefon hatte zu klingeln aufgehört. Bestimmt hatte einer vom neuen Personal den Hörer abgenommen – Cullen, der neue Fahrer, oder Yancy, der Hausdiener, der immer um sechs Uhr aufstand, wie es hieß. Vielleicht auch die alte E u genia, die Mona jetzt immer so feierlich anstarrte, wenn sie einander über den Weg liefen.
Mona war am Abend zuvor hier eingeschlafen, in ihrem neuen Seidenkleid, hier auf der Sündencouch, auf der Michael und sie es miteinander getrieben hatten, und obwohl sie ihr Bestes getan hatte, um von Yuri zu träumen – von Yuri, der angerufen und bei Celia eine Nachricht hinterlassen hatte, daß alles in Ordnung sei und er sich sehr bald wieder bei ihnen allen me l den würde -, hatte sie an Michael gedacht, an die drei Male, die sie miteinander geschlafen hatten, ein höchst verbotenes, aber vielleicht das beste erotische Abenteuer, das sie je erlebt hatte.
Nicht, daß Yuri nicht wunderbar gewesen wäre. Aber sie w a ren so vorsichtig miteinander umgegangen; sie hatten einander geliebt, ja, aber auf die sicherste nur denkbare Weise. Und seitdem wünschte Mona, sie hätte ihr gewohntes wildes Ve r langen in jener letzten Nacht offener zum Ausdruck gebracht.
Wild. Sie liebte dieses Wort. Es paßte zu ihr. »Du bist zu wild«, pflegten Celia und Lily immer zu ihr zu sagen. Und sie antwortete dann: »Ich weiß das Kompliment zu schätzen.«
Gott, hätte sie doch nur selbst mit Yuri sprechen können. Celia hatte ihm gesagt, er solle in der First Street anrufen. Warum hatte er es nicht getan?
Sogar Onkel Ryan war verärgert gewesen. »Wir müssen mit dem Mann sprechen«, hatte er gesagt. »Wir müssen mit ihm über Aaron sprechen.«
Und das war das eigentlich Traurige daran: daß es Celia g e wesen war, die es Yuri gesagt hatte. Vielleicht wußte niemand auf der Welt, was Aaron für Yuri bedeutet hatte – außer Mona, der er sich anvertraut hatte in jener einzigen, gestohlenen Nacht, in der er lieber mit ihr gesprochen als mit ihr geschlafen hatte. Wo war er jetzt? Wie ging es ihm? In jenen wenigen Stunden ihres leidenschaftlichen Austauschs hatte er eine intensive Emotionalität gezeigt; seine schwarzen Augen hatten geglitzert, als er ihr in einer auf das Wesentliche reduzierten Sprache – in dem wunderschönen Englisch derer, für die es die zweite Sprache ist – von den Schlüsselerlebnissen in se i nem tragischen, aber erstaunlich erfolgreichen Leben erzählt hatte.
»Man kann einem Zigeuner nicht einfach so mir nichts, dir nichts erzählen, daß sein ältester Freund von einem Irren to t gefahren worden ist.«
Dann ging ihr ein Licht auf. Das Telefon hatte geklingelt. Vie l
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