Die Mayfair-Hexen
Manchmal kann ich ihn immer noch riechen, hier im Wohnzimmer und oben im Schlafzimmer. Du nicht?«
Rowan gab keine Antwort.
»Ich möchte, daß du etwas tust, nur weil ich dich darum bitte«, sagte sie statt dessen.
»Was denn?«
»Erzähle Michael nichts von dem Baby, solange die üblichen Untersuchungen noch nicht gemacht worden sind. Und noch etwas, wenn du nichts dagegen hast.«
»Schieß los.«
»Wenn du Michael von dem Baby erzählst und dich später dafür entscheidest, es wegmachen zu lassen, wird ihn das umbringen. Zweimal ist es ihm schon versprochen und dann nicht erfüllt worden. Wenn es noch Zweifel gibt, irgendeinen Zweifel, erzähl’s ihm nicht, bis dieser Zweifel beseitigt ist.«
»Ich kann es nicht erwarten, es ihm zu erzählen. Ich kann meine Ärztin dazu bringen, daß sie mir noch heute nachmittag einen Termin gibt. Ich sage ihr einfach, ich kriege einen Nervenzusammenbrach und bin schon unterwegs zu ihr. Solche Sachen ist sie bei mir gewohnt. Und wenn die Tests okay sind, wird mich nichts davon abhalten, es ihm zu sagen. Und nichts, ich meine, überhaupt nichts, wird verhindern können, daß mein Baby auf die Welt kommt.«
Sie wollte aufstehen, als ihr klar wurde, was sie da gesagt hatte, und daß Rowan nie wieder vor diesem speziellen Dilemma stehen würde. Aber Rowan schien von ihren Worten überhaupt nicht gekränkt zu sein. Ihr Gesicht war sehr ruhig. Sie betrachtete ihre Zigarette.
»Verschwinde jetzt, damit ich in Ruhe rauchen kann, ja?« sagte sie lächelnd. »Und dann wecken wir Michael. In anderthalb Stunden geht mein Flugzeug.«
»Rowan, ich… es tut mir immer noch leid, daß ich mit ihm geschlafen habe. Aber daß ich das Kind bekomme, das kann ich nicht bedauern.«
»Ich auch nicht«, sagte Rowan. »Wenn er mit einem eigenen Kind aus dieser Sache herauskommt und mit einer Mutter, die ihm erlaubt, es zu lieben, dann wird er vielleicht im Laufe der Jahre eine Möglichkeit finden, mir alles zu verzeihen. Vergiß nur eines nicht: Ich bin immer noch seine Frau, Jezebel. Du hast den Smaragd und das Baby. Aber Michael gehört immer noch mir.«
»Schon verstanden«, sagte Mona. »Ich hab dich wirklich gern, Rowan. Wirklich. Mal ganz davon abgesehen, daß ich dich liebe, weil du meine Cousine bist und wir Mayfairs sind. Wenn ich nicht schwanger wäre, würde ich dich zwingen, mich mitzunehmen, um Yuris und deinetwillen und auch wegen der anderen.«
»Und wie würdest du mich zwingen, Mona?«
»Wie hast du noch gesagt? Geheime Waffen, die nur mir gehören.«
Sie schauten einander an, und dann nickte Rowan langsam und lächelte.
7
Es war schlammig und kalt auf dem Berg, aber noch nie, weder im Sommer noch im Winter, hatte Marklin diesen glitschigen Aufstieg hinter sich gebracht, ohne ihn zu genießen – neben dem Holy Thorn auf dem Gipfel des Wearyall Hill zu stehen und auf die anheimelnde, pittoreske Stadt Glastonbury hinunterzuschauen. Das Land ringsumher war immer grün, auch im Winter, aber jetzt hatte es die frische, intensive Farbe des Frühlings.
Marklin war dreiundzwanzig, eine sehr lichte Erscheinung mit blonden Haaren, blaßblauen Augen und einer dünnen, hellen Haut, die leicht fror. Er trug einen wollgefütterten Regenmantel, ein Paar Lederhandschuhe und eine kleine Wollmütze, die besser wärmte, als man es von einem so kleinen Kleidungsstück erwartet hätte.
Er war achtzehn gewesen, als Stuart ihn hergebracht hatte – eifrige Studenten waren sie damals gewesen, er und Tommy, in Oxford verliebt, in Stuart verliebt, und erpicht auf jedes Wort aus Stuarts Munde.
Während ihrer Zeit in Oxford hatten sie diesen Ort mit regelmäßigen Besuchen beehrt. Sie hatten kleine, gemütliche Zimmer im »George and Pilgrims«-Hotel bezogen und waren zusammen die High Street hinunterspaziert, wo sie die Buchhandlungen und die Läden, die Kristallkugeln und Tarotkarten verkauften, durchstöberten. Flüsternd hatten sie einander von ihren geheimen Forschungen erzählt, von ihrem scharfen, wissenschaftlichen Blick auf Dinge, die anderen rein mythologisch erschienen. Die einheimischen Gläubigen, wahlweise als Althippies oder als New-Age-Jünger bezeichnet, und auch die Bohemiens und Künstler, die der Charme eines solchen Landes anzulocken pflegte, hatten keinerlei Reiz für sie.
Sie waren dafür, die Vergangenheit zu entschlüsseln, und zwar schnell und mit allen Werkzeugen, die ihnen zu Gebote standen. Und Stuart, ihr Lehrer in den alten Sprachen, war ihr Priester gewesen,
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