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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Katastrophe. Natürlich würde er weitermachen, aber seine Jugend war eine ununterbrochene Kette von Erfolgen gewesen, und so mußte auch dies ein Erfolg werden, damit sein Aufstieg nicht an Schwung verlor.
    Ich muß gewinnen, ich muß immer gewinnen. Ich darf niemals etwas in Angriff nehmen, was ich nicht absolut erfolgreich zu Ende bringen kann. Dies war immer Marklins persönliches Gelübde gewesen. Er war ihm niemals untreu geworden.
    Was Tommy anging, Tommy war den Gelübden treu, die sie alle drei abgelegt hatten, er war dem Konzept treu und der Person Tessa. Um Tommy brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Tief versunken in seine Computerarbeit, in seine präzisen Chronologien und Tabellen, drohte Tommy niemals aufzubegehren, und zwar aus eben denselben Gründen, die ihn so wertvoll machten: Er war keiner, der das Gesamtbild sah oder seine Gültigkeit in Frage stellte.
    In einem sehr fundamentalen Sinn konnte man sagen, daß Tommy sich nie veränderte.
    Tommy war derselbe Junge, den Marklin in Kindertagen liebgewonnen hatte – ein Sammler, ein Ordner, ein Archiv in sich, ein Ermittler. Tommy ohne Marklin hatte es nie gegeben, soweit Marklin wußte. Mit zwölf hatten sie einander das erstemal gesehen, im Internat in Amerika. Tommys Zimmer war vollgestopft gewesen mit Fossilien, Landkarten, Tierknochen, einer Computerausrüstung der esoterischsten Art und einer gewaltigen Sammlung von Science-fiction-Taschenbüchern.
    Tommys Loyalität hatte nie auch nur einen Augenblick lang in Frage gestanden. Im Gegenteil.
    Marklin begann zu frieren, aber das störte ihn nicht.
    Glastonbury würde für ihn nie etwas anderes sein als ein geweihter Ort, auch wenn er glaubte, daß buchstäblich so gut wie nichts damit verbunden war.
    Skrupellosigkeit. Das war das Gebot der Stunde, und das hatte Stuart nicht einsehen können.
    Ja, die Sache war schrecklich schiefgegangen, daran gab es keinen Zweifel. Es waren Menschen geopfert worden, deren Unschuld und deren Bedeutung sicher anderes verdient hätten. Aber das war nicht ausschließlich Marklins Schuld. Und wenn eine Lektion dabei zu lernen war, dann die, daß dies alles letzten Endes unwichtig war.
    Die Zeit ist gekommen, da ich meinen Lehrer unterweisen muß, dachte Marklin.
    Meilenweit entfernt vom Mutterhaus, hier unter freiem Himmel, an einem Treffpunkt, der durch unsere eigenen jahrelangen Gewohnheiten hinreichend erklärt ist, werden wir wieder zusammenfinden. Nichts ist verloren.
    Tommy war gekommen.
    Tommy kam immer als Zweiter. Marklin beobachtete, wie Tommys antiker Roadster seine Fahrt verlangsamte, als er die High Street herunterkam. Er beobachtete, wie Tommy einen Parkplatz fand und schließlich die Tür zuschlug – wie immer, ohne sie abzuschließen – und wie er dann seinen Aufstieg begann.
    Und wenn Stuart nun nicht kommen würde? Wenn er gar nicht in der Nähe war? Wenn er seine Jünger wirklich aufgegeben hatte? Ausgeschlossen.
    Stuart war am Brunnen. Er trank immer daraus, wenn er kam, und er würde daraus trinken, wenn er wieder ginge. Seine Wallfahrten hierher waren so streng reglementiert wie die eines alten Druiden oder eines christlichen Mönches. Von Schrein zu Schrein reiste Stuart.
    Diese Gewohnheiten seines Lehrers hatten immer ein zärtliches Gefühl in Marklin erweckt, ebenso wie Stuarts Worte. Stuart hatte sie einem dunklen Leben »geweiht«, einem Leben, in dem sie »Mystik und Mythos« durchdringen sollten, »um die Hände auf das Grauen und die Schönheit in ihrem innersten Kern zu legen.«
    Es schien erträgliche Lyrik, damals wie heute. Stuart mußte nur daran erinnert werden, Stuart mußte mit Metaphern und hehren Empfindungen überzeugt werden.
    Tommy hatte den Baum fast erreicht. Er setzte seine Schritte vorsichtig, denn es geschah leicht, daß man auf dem schlüpfrigen Boden den Halt verlor und stürzte. Marklin war es auch schon passiert, vor Jahren einmal, als sie mit ihren Wallfahrten begonnen hatten. Es hatte bedeutet, daß er eine Nacht im »George and Pilgrims« hatte zubringen müssen, während seine Kleidung gründlich gereinigt wurde.
    Nicht schlimm, daß es passiert war; es war ein wunderbarer Abend geworden. Stuart war mit ihm dageblieben. Sie hatten die Nacht hindurch miteinander geredet, obwohl Marklin auf einen geborgten Hausmantel, Pantoffeln und ein winziges, bezauberndes Zimmer angewiesen war und sich beide vergebens danach gesehnt hatten, um Mitternacht den Hügel zu besteigen und mit dem Geist des schlafenden Königs

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