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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ihre magische Verbindung zu einem wahren Heiligtum: zur Bibliothek und zu den Archiven der Talamasca.
    An jenem Steinhaufen auf dem Gipfel des Berges, am Glastonbury Tor war es gewesen, im letzten Jahr, nach der Entdeckung Tessas, als Stuart zu ihnen gesagt hatte: »In euch beiden habe ich alles gefunden, was ich bei einem Gelehrten, einem Schüler oder einem Novizen je gesucht habe. Ihr seid die ersten, denen ich wirklich alles geben will, was ich weiß.«
    Das war Marklin wie eine unermeßliche Ehre erschienen – größer als alle Auszeichnungen, die er in Eton oder Oxford errungen hatte oder wohin ihn seine Studien später noch geführt hatten.
    Es war sogar ein noch größerer Augenblick gewesen als die Aufnahme in den Orden. Und jetzt, rückblickend, wußte er, daß diese Aufnahme nur etwas bedeutet hatte, weil sie für Stuart alles bedeutet hatte, Stuart, der sein Leben als Mitglied der Talamasca verbracht hatte und bald, wie er so oft sagte, in ihren Mauern sterben würde.
    Stuart war jetzt siebenundachtzig und vielleicht der älteste unter den aktiven Männern der Talamasca, wenn man den Sprachunterricht als eine Aktivität der Talamasca bezeichnen konnte, denn eigentlich war es eher Stuarts spezielle Leidenschaft im Ruhestand. Sein Reden vom Tod war weder romantisch noch melodramatisch. Und eigentlich hatte seine nüchterne, sachliche Einstellung gegenüber dem, was vor ihm lag, sich durch nichts erschüttern lassen.
    »Ein Mann in meinem Alter, der seinen Verstand noch beisammen hat? Wenn er im Angesicht des Todes nicht tapfer ist, wenn er nicht neugierig ist, wenn er nicht ziemlich erpicht darauf ist, zu sehen, was passiert – na, dann hat er sein Leben verschwendet. Dann ist er ein verdammter Narr.«
    Selbst die Entdeckung Tessas hatte es nicht vermocht, Stuart mit einer letzten verzweifelten Sehnsucht nach Verlängerung der Zeit, die ihm noch blieb, zu infizieren. Seine Hingabe an Tessa, sein Glaube an sie, hatte keinen Platz für etwas so Kleinliches. Marklin fürchtete Stuarts Tod weit mehr, als Stuart selbst es tat. Und Marklin wußte jetzt, daß er den Bogen bei Stuart überspannt hatte und daß er ihn behutsam zum Augenblick des Einverständnisses zurückführen mußte. Stuart an den Tod zu verlieren war unvermeidlich; Stuart vor der Zeit zu verlieren war undenkbar.
    »Ihr steht auf dem geheiligten Boden von Glastonbury«, hatte Stuart ihnen an jenem Tag gesagt, als alles begonnen hatte. »Wer liegt in diesem Steinhaufen begraben? Arthur selbst, oder nur die namenlosen Kelten, die uns ihre Münzen hinterlassen haben, ihre Waffen, ihre Boote, mit denen sie die Meere bereisten, die aus diesem Land die Insel Avalon machten? Wir werden es niemals wissen. Aber es gibt Geheimnisse, die wir ergründen können, und die Implikationen dieser Geheimnisse sind so ungeheuerlich, so revolutionär und so beispiellos, daß sich dafür unsere Gefolgschaftstreue gegenüber dem Orden lohnt, daß sich jedes Opfer lohnt, das wir vielleicht bringen müssen.«
    Daß Stuart jetzt drohte, Marklin und Tommy aufzugeben, daß er sich in Zorn und Abscheu gegen sie gewendet hatte, das war etwas, das Marklin hätte vermeiden können. Es war nicht nötig gewesen, Stuart den ganzen Plan zu offenbaren. Und jetzt war es Marklin klar, daß seine Weigerung, die ganze Verantwortung selbst zu übernehmen, diesen Riß verursacht hatte. Stuart hatte Tessa… Stuart hatte seine Wünsche deutlich gemacht. Aber man hätte Stuart niemals sagen dürfen, was wirklich passiert war. Das war der Fehler gewesen, und Marklin konnte es nur seiner eigenen Unreife anlasten, daß er Stuart so sehr geliebt und sich deshalb gezwungen gefühlt hatte, ihm alles zu erzählen.
    Er würde Stuart zurückgewinnen. Stuart hatte sich bereiterklärt, heute hier zu erscheinen. Ohne Zweifel war er schon da und stattete dem Brunnen namens Chalice Well einen Besuch ab, wie er es immer tat, bevor er den Wearyall Hill heraufkam und sie zum Steinhaufen führte. Marklin wußte, wie sehr Stuart ihn liebte. Dieser Zwist würde sich beilegen lassen, mit einem Appell aus tiefster Seele, mit Poesie und mit ehrlicher Inbrunst.
    Daß sein eigenes Leben lang sein würde, daß dies nur das erste seiner dunklen Abenteuer sein würde, daran zweifelte Marklin nicht. Ihm würde der Schlüssel zum Tabernakel gehören, die Schatzkarte, die Formel für den Zaubertrank. Dessen war er sich völlig sicher. Doch wenn dieser erste Plan in einer Niederlage endete, wäre das eine moralische

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