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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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zu sprechen.
    Natürlich hatte Marklin im Leben nicht einen Augenblick lang geglaubt, daß König Arthur unter dem Steinhaufen namens Glastonbury Tor schlief. Hätte er es geglaubt, so hätte er eine Schaufel genommen und angefangen zu graben.
    Stuart war erst spät im Leben zu der Überzeugung gelangt, daß ein Mythos nur interessant war, wenn eine Wahrheit dahinter verborgen war, und daß man diese Wahrheit finden könne, sogar den materiellen Nachweis dafür.
    Gelehrte, dachte Marklin, haben einen unvermeidlichen Makel: Worte und Taten werden eins für sie. Das war der eigentliche Grund für die derzeitige Verwirrung. Mit siebenundachtzig Jahren hatte Stuart seinen vielleicht ersten Ausflug in die Realität unternommen.
    Realität und Blut waren zwei Seiten einer Medaille.
    Tommy trat endlich an Marklins Seite. Er blies in seine kalten Hände und zog dann seine Handschuhe aus den Taschen – eine klassische Tommy-Vorstellung: Er wanderte den Hang ohne sie herauf, vergaß überhaupt, daß sie existierten, bis er Marklins Lederhandschuhe sah, die er ihm selbst vor langer Zeit geschenkt hatte.
    »Wo ist Stuart?« fragte Tommy. Er starrte Marklin an, und seine Augen waren riesengroß hinter den runden, dicken, randlosen Brillengläsern. Sein rotes Haar war adrett kurzgeschnitten, so daß er aussah wie ein Rechtsanwalt oder ein Banker. »Wo ist er?«
    Marklin war im Begriff zu sagen, daß Stuart nicht gekommen sei, aber da entdeckte er ihn, wie er sich gerade an die letzte Etappe des Aufstiegs machte. Er war mit dem Wagen so weit heraufgefahren, wie es am Wearyall Hill erlaubt war. Das war eigentlich gar nicht seine Art.
    Aber ansonsten schien Stuart unverändert zu sein – groß und schmal, in seinem vertrauten Mantel; der Cashmereschal, den er um den Hals trug, flatterte hinter ihm im Wind, und sein hageres Gesicht war wie aus Holz geschnitzt. Sein graues Haar erinnerte an die Federn einer Dohle. Es war, als habe er sich im letzten Jahrzehnt fast gar nicht verändert.
    Er sah Marklin ins Gesicht, als er näherkam. Und Marklin merkte, daß er selbst zitterte. Tommy trat beiseite. Stuart blieb zwei Schritte weit vor ihnen stehen; die Fäuste geballt, das schmale Gesicht schmerzerfüllt.
    »Ihr habt Aaron ermordet!« rief er. »Ihr beide. Ihr habt Aaron ermordet. Wie in Gottes Namen konntet ihr so etwas tun?«
    Marklin war sprachlos; all sein Selbstvertrauen und all seine Pläne ließen ihn plötzlich im Stich. Er versuchte das Zittern in seinen Händen zu unterdrücken. Er wußte, wenn er jetzt sprechen würde, wäre seine Stimme dünn und ohne jede Autorität. Er konnte es nicht ertragen, wenn Stuart zornig oder enttäuscht war.
    »Lieber Gott, was habt ihr bloß getan, ihr beide!« wütete Stuart. »Und was habe ich getan, daß ich diese Sache in Gang gesetzt habe? Lieber Gott, die Schuld liegt bei mir!«
    Marklin schluckte, aber er schwieg weiter.
    »Du, Tommy, wie konntest du dich daran beteiligen?« fuhr Stuart fort. »Und Mark. Mark, du, der Urheber des Ganzen!«
    »Stuart, Sie müssen mich anhören!« rief Marklin, ehe er sich versah.
    »Dich anhören?« Stuart kam näher und vergrub die Fäuste in den Manteltaschen. »Dich anhören soll ich? Ich will dir eine Frage stellen, mein brillanter junger Freund, meine schönste, meine tapferste Hoffnung! Was soll dich daran hindern, mich jetzt auch zu ermorden, wie du es mit Aaron und mit Yuri Stefano getan hast?«
    »Stuart, ich habe es für Sie getan«, beharrte Marklin. »Wenn Sie nur zuhören wollten, dann würden Sie mich verstehen. Es sind doch nur die Blumen aus der Saat, die Sie gestreut haben. Aaron mußte zum Schweigen gebracht werden. Daß er noch nicht Bericht erstattet hatte, daß er noch nicht ins Mutterhaus zurückgekehrt war, war reines Glück, Stuart! Es hätte jeden Tag geschehen können, und Yuri Stefano wäre auch gekommen. Sein Besuch in Donnelaith war eine Unwägbarkeit; er hätte vom Flughafen aus geradewegs nach Hause kommen können.«
    »Du sprichst von Umständen, du sprichst von Detailfragen!« Stuart machte einen Schritt auf sie zu»
    Tommy blieb ruhig und scheinbar unbewegt stehen; sein rotes Haar war vom Wind zerzaust, und seine Augen blinzelten hinter den Brillengläsern. Er beobachtete Stuart unverwandt, und seine Schulter berührte beinahe Marklins Arm.
    Stuart war außer sich. »Du sprichst von Sachzwängen, aber du sprichst nicht von Leben und Tod, mein Schüler«, beharrte er. »Wie konntest du das tun? Wie konntest du Aarons Leben

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