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Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Malzieu
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als hätte ich ihr die Regeln eines spannenden neuen Spiels erklärt. Keine spitzen Schreie, kein spöttisches Gelächter. Bisher haben nur Arthur, Anna, Luna und Méliès so gelassen auf mein Uhrenherz reagiert. Für mich ist das ein eindeutiger Liebesbeweis. Miss Acacia scheint mir zu sagen: »Zwischen deinen Knochen nistet also ein Kuckuck. Na und?« Manchmal kann es so einfach sein …
    Aber ich darf mich nicht zu früh freuen. Vielleicht findet Miss Acacia die Uhr nur deshalb nicht abstoßend, weil ihre Augen so schlecht sind.
    »Ist doch praktisch … Wenn du nach einer Weile das Interesse an mir verlierst, kann ich dein Herz gegen ein neues austauschen, bevor du mich gegen eine Neue austauschst.«
    Selbst wenn sie mir zu verstehen gibt, dass sie sich nicht alles gefallen lässt, finde ich sie hinreißend.
    »Mein Herz sagt, dass wir uns vor exakt siebenunddreißig Minuten zum ersten Mal geküsst haben. Glaubst du nicht, wir haben noch etwas Zeit, bevor wir uns über solche Dinge Gedanken machen müssen?«
    Ich begleite Miss Acacia nach draußen, schleiche wie ein Wolf neben ihr her, umarme sie wie ein Wolf und verschwinde wie ein Wolf in der Nacht.
    Ich habe das Mädchen mit der Vogelstimme geküsst, und nichts ist mehr, wie es war. Meine Uhr pulsiert wie ein brodelnder Vulkan. Schmerzen habe ich keine. Doch, ich habe leichtes Seitenstechen. Aber das ist ein geringer Preis für den Glücksrausch, der gewaltiger und wunderbarer ist als alles, was ich mir je vorgestellt habe.
    Heute Nacht erklimme ich den Mond, mache es mir auf seiner Sichel gemütlich und träume mit offenen Augen vor mich hin.

8
    m nächsten Morgen reißt mich die magieunbegabte Hexe Brigitte Heim aus dem Schlaf.
    »Aufstehen, Zwerg! Heute strengst du dich gefälligst an und erschreckst die Leute, sonst fliegst du raus, und zwar ohne Bezahlung.«
    So früh am Morgen verursacht mir ihre Essigstimme Übelkeit. Ich habe einen Liebeskater und komme nur schwer aus den Federn.
    Habe ich gestern Nacht Traum und Wirklichkeit verwechselt? Werde ich das Kribbeln beim nächsten Mal wieder spüren dürfen? Allein bei dem Gedanken flattert mir die Uhr. Nie zuvor war ich so glücklich, nie zuvor hatte ich solche Angst. Ich tue genau das, wovor Madeleine mich immer gewarnt hat.
    Ich schaue bei Méliès vorbei, damit er sich meine Uhr ansieht.
    »Dein Herz funktioniert besser denn je«, versichert er. »Du solltest dich mal im Spiegel sehen. Wenn du von letzter Nacht erzählst, strahlst du wie die Sommersonne an einem wolkenlosen Himmel.«
    Den ganzen Tag schwebe ich durch die Geisterbahn, weil ich am Abend wieder Liebesmagier spielen und Träume in Wirklichkeit verwandeln darf.
    Wir sehen uns nie tagsüber, immer nur nachts. Miss Acacias charmante Eitelkeit führt dazu, dass sie ihr Kommen immer ankündigt, indem sie irgendwo gegenstößt. Das ist ihre ganz persönliche Art, an die Tür der Geisterbahn zu klopfen.
    Unsere Liebe verwandelt uns in lebende Streichhölzer. Wir brauchen keine Worte, wir reiben uns einfach nur kurz aneinander und entflammen lichterloh. Unsere Küsse sind ein Inferno, mein Körper ist ein 1,66 Meter großes Erdbeben. Mein Herz reißt sich los und entflieht seinem Gefängnis. Es pulsiert durch die Adern und schießt in den Kopf, wird zum Gehirn. Es ist überall, in jedem Muskel, es erfüllt mich bis in die Fingerspitzen! Hellstes Sonnenlicht. Eine rosa Krankheit mit roten Flecken.
    Ich bin süchtig nach Miss Acacia, nach dem Geruch ihrer Haut, dem Klang ihrer Stimme, nach ihrer Eigenheit, das stärkste und zerbrechlichste Mädchen der Welt zu sein. Nach ihrem Tick, keine Brille zu tragen und alles wie durch einen Schleier zu sehen. So schirmt sie sich von der Welt ab: Sie versteckt sich hinter ihren kaputten Augen und bekommt nicht allzu viel davon mit, was um sie herum geschieht.
    Nach und nach lerne ich die eigentümliche Mechanik ihres Herzens kennen. Aus abgrundtiefem Mangel an Selbstsicherheit versteckt Miss Acacia ihr Herz in einem Panzerschrank. In ihr kämpfen nagende Selbstzweifel und wilde Entschlossenheit um die Vorherrschaft. Die Funken, die Miss Acacia auf der Bühne versprüht, sind Splitter ihres lodernden Selbst. Wenn sie singt, öffnet sie ihr Herz und entflammt damit das Publikum, aber sobald die Musik verstummt, schließt sich die Tresortür wieder. Ich habe noch nicht herausgefunden, welches ihrer Zahnräder kaputt ist. Die Zahlenkombination zu ihrem Herzen ändert sich jede Nacht. Manchmal bleibt es fest

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