Die Medica von Bologna / Roman
auch eine Rekonstruktion der Oberlippe und eine der Unterlippe. Das Verfahren war im Prinzip dasselbe gewesen. Bei allen Prozeduren war er von zwei
ministri
unterstützt worden, einem, der den Kopf des Patienten hielt, und einem, der die Instrumente anreichte. Doch beide hätten sich bei weitem nicht so geschickt angestellt wie ich …
Die Zeit verging, und es war fast wieder so wie früher. Trotzdem lag eine Spannung zwischen uns, die nicht nur daher rührte, dass seine Frau sich im selben Haus aufhielt und sich vielleicht fragte, was wir miteinander zu bereden hatten. Es war noch etwas anderes, und ich wusste auch, was, denn immer wieder bemerkte ich, wie sein Blick zum Kaminsims ging, wo er die Hutnadel vermutete.
Schließlich sagte ich: »Ich muss jetzt gehen, Gaspare, es ist Zeit für die Abendmahlzeit.«
»Bleib doch noch ein wenig, es ist so schön, mit dir zu plaudern.«
Das fand ich auch. Um ehrlich zu sein, fand ich es sogar sehr schön, und der Gedanke daran, dass Giulia Carnali, seine zweifellos sehr freundliche Ehefrau, das Privileg genoss, mit ihm zu Abend speisen zu können und danach vielleicht noch ganz andere Dinge mit ihm tun zu dürfen, während ich mich allein auf den Weg zurück in die Strada San Felice machen musste, erfüllte mich mit Eifersucht. »Es geht nicht. Oder bin ich bei Euch zum Essen eingeladen?«
Er lachte verlegen. »Nun, das wäre keine schlechte Idee, nur heute ist es leider nicht möglich. Vielleicht ein andermal.«
»Ja, vielleicht«, sagte ich, stand rasch auf und ging zur Tür.
»Warte einen Moment.«
»Was ist denn noch?«, fragte ich scheinheilig.
»Komm einmal zum Kamin.«
»Zum Kamin? Warum das, ich wollte doch gerade …«
»Es ist kalt draußen, wärme dich kurz auf, bevor du auf die Straße gehst.«
»Wenn du meinst.« Ich folgte ihm zum Kamin und hatte alle Mühe, ein gleichmütiges Gesicht zu ziehen, während er suchend mit der Hand über den Sims fuhr. Dabei murmelte er etwas, das ich nicht verstand.
»Sagtest du etwas?«
»Ja, wärm dich nur auf.« Er bückte sich und forschte vergebens zwischen dem Scheitholz.
»Suchst du etwas?«
Er richtete sich auf. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, ein Lächeln der Erkenntnis. »Du hast sie schon gefunden«, sagte er.
»Wovon sprichst du?«
»Ach, Carla, du weißt doch genau, dass ich von deiner Hutnadel spreche.«
»Hutnadel, was für eine Hutnadel?«
»Du musst sie an dich genommen haben. Sie lag auf dem Kaminsims, ich weiß es genau. Schließlich wollte ich sie dir zurückgeben.«
»Verzeih, aber du redest in Rätseln. Ich besitze nur eine Hutnadel, und das ist die, die du kennst.« Ich deutete auf mein Barett, wo die Nachfolgerin der verlorenen Nadel saß.
»Bist du ganz sicher?«
»Natürlich.« Rasch richtete ich mir den Schleier und vermied es auf diese Weise, dass er mir ins Gesicht blicken konnte. Er hatte mich also tatsächlich verdächtigt, jene Unbekannte gewesen zu sein, die heimlich die Lektionen in der der
Scuola d’Aranzio
verfolgt hatte. Und er hatte mir eine Falle gestellt.
Wenn ich in sie hineingetappt wäre, wäre ich ihm für alle Zeiten ausgeliefert gewesen.
War es der Wunsch, mich zu besitzen, der ihn dazu verleitet hatte? Oder nur das Streben nach Wissen, das ihm als Gelehrtem in Fleisch und Blut übergegangen war?
Fest stand jedenfalls, dass er mit seiner Falle keinerlei Risiko eingegangen war, denn jetzt, wo es nicht geklappt hatte, konnte er immer noch sagen, das Ganze sei nur der Versuch gewesen, mich endlich wiederzusehen.
Und genau das tat er.
Er lachte auf und nahm mich so rasch in die Arme, dass ich es nicht verhindern konnte. »Aber versteh doch! Ich brauchte einen Grund, dich hierherzulocken. Auf weibliche Neugier ist immer noch Verlass, stimmt’s? Du bist gekommen, und das ist die Hauptsache.«
»Bitte, lass mich los.«
Er tat es, wenn auch widerstrebend. »Bevor du gehst, wollte ich dir sagen, dass ich dich noch immer …«
»Leb wohl, Gaspare«, sagte ich und eilte hinaus.
Eine ereignisreiche Woche verging. Wie immer in der nassen und kalten Jahreszeit hatte ich sehr viel im Hospital zu tun. Die Arbeit half mir, nicht an Gaspare zu denken, nicht an seinen Versuch mit der Hutnadel und auch nicht an seinen Versuch, mich beim Abschied seiner Liebe zu versichern. Immer wieder sagte ich mir, dass er ein glücklich verheirateter Mann sei, der eine wunderschöne, dazu freundliche und begüterte Frau hatte, ein Mann, der für alle Zeiten vergeben
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