Die Medica von Bologna / Roman
aber auch ›Naturkatastrophe‹ bedeutet. Beides traf in hohem Maße auf sie zu.«
»Du musstest dieser Afet nur die Arme massieren?«, vergewisserte ich mich.
»Ja, für die Beine war ein anderer Eunuch zuständig, für den Körper ein dritter und für den Kopf wiederum einer. Der Kopfmasseur musste besonders behutsame Hände haben, denn schon bei der geringsten Ungeschicklichkeit lief er Gefahr, ausgepeitscht zu werden. Es gibt für alles und jedes im Haus der Glückseligkeit einen Diener, nicht nur bei der Körperpflege der Kadinen.«
»Das muss ein seltsames Haus sein.«
»Wenn Ihr darin lebt, ist es völlig normal. Die Hierarchie geht einem in Fleisch und Blut über, meistens jedenfalls.«
»Was meinst du damit?«
»Nun, Herrin« – Latif grinste –, »es ist wohl so, dass ich nicht immer so demütig war, wie der Kizlar Ağası es gern gesehen hätte. Um Eurer Frage zuvorzukommen: Der Kizlar Ağası ist der Oberste der Schwarzen Eunuchen. Er konnte mich nicht gut leiden, ebenso wie Afet.«
»Hast du den beiden die Verstümmelung deiner Nase zu verdanken?«
»Nun, Herrin, fest steht, dass ich Euch meine Errettung aus der Pesthöhle Venedig verdanke. Doch entschuldigt mich bitte, es ist Zeit, Allah zu preisen.« Er brachte sein Maultier zum Stehen, saß ächzend ab und griff unter sein weites Gewand. Zu meiner Überraschung holte er ein starkes, bunt gemustertes Tuch hervor und erklärte, als er meinen fragenden Blick sah: »Das ist mein Gebetsteppich, Herrin. Ich trage ihn immer am Körper, eng um den Leib gewickelt, damit er mir auf keinen Fall abhandenkommt.« Dann suchte er sich wieder eine geeignete Stelle im Gelände, richtete den Teppich nach Osten aus und verrichtete sein Gebet.
Als er fertig war, sagte er: »Ich glaube, dies ist ein guter Ort zum Rasten. Lasst mich eine Pferdedecke ausbreiten, damit wir essen können.«
Aber es ist doch noch gar nicht Mittagszeit?«
»Das macht nichts, Herrin. Wenn es ums Essen geht, folge ich immer dem Befehl meines Magens.«
»Aber mein Magen sagt mir, dass es noch nicht so weit ist.«
Latif legte den Kopf schief. »Vielleicht sollten unsere Mägen das allein ausfechten, Herrin? Eurer schweigt, aber meiner knurrt. Ich glaube, er hat die besseren Argumente.«
Ich lachte.
»Seht Ihr, da habe ich Euch zum Lachen gebracht. Ein guter Diener bringt seine Herrschaft zum Lachen.«
»Das hast du schon einmal gesagt.«
»Das kann schon sein, Herrin. Rasten wir nun?«
»Wenn du es unbedingt willst, ja.«
Am Nachmittag erzählte er wieder von seinem Leben im Harem. Er sprach über die feinen und fremdartigen Speisen, deren Außergewöhnlichkeit an die Dekadenz römischer Festmähler erinnerte, über die Kunst der Kalligraphie, des Gesangs und des Tanzes, über die Badegewohnheiten von Murad III . und seinen erlesenen Geschmack, was Frauen anbetraf, über die Architektur des Topkapı-Palastes, seine Gebäude, seine vier Höfe und die dazugehörenden Tore, über die prachtvollen Moscheen Istanbuls, von denen besonders die Süleyman-Moschee mit ihren sechs Minaretten hervorzuheben sei, und schließlich über die Lehre des islamischen Glaubens sowie über die Zufriedenheit und Geborgenheit, die dieser Glaube vermittle.
Ich entgegnete, der christliche Glaube vermittle all das im selben Maße, und wir stellten fest, dass die Unterschiede zwischen beiden Religionen gar nicht so groß sind, wie immer behauptet wird, zumal es sich bei dem Allmächtigen und bei Allah um ein und dieselbe Göttlichkeit handelt.
Dann sprach er über die Kleider, die am Hofe des Sultans getragen werden, und entführte mich in eine neue Welt der Formen, Farben und Schnitte. Er schilderte alles auf das Lebhafteste und beließ es nicht nur bei der Theorie, sondern bestand tatsächlich darauf, mir zu zeigen, wie man kunstvoll einen Turban wickelt. »Es gibt verschiedene Techniken, Herrin«, sagte er, »je nachdem, ob man einen oder mehrere Stoffstreifen verwendet. »Darf ich?«
Er wickelte mir eine rosafarbene Stoffbahn um den Kopf und klatschte vor Vergnügen in die Hände, als er das Resultat seiner Bemühungen betrachtete. »Wartet, Herrin«, sagte er, »ich habe einen kleinen Spiegel, eine polierte Messingscheibe, dabei. Ihr werdet staunen, wie gut Euch die Kopfbedeckung steht.«
Er wollte zu seinem Maultier gehen, aber ich hielt ihn auf. »Lass nur, Latif, bleib hier. Erzähle mir mehr über Turbane.«
»Wie Ihr wünscht, Herrin. Aber es ist schade, dass Ihr Euch nicht
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