Die Medica von Bologna / Roman
Luca, »oder wir holen ihn uns.«
»Ja«, kicherte einer der Träger außer Atem, »den Kuss und noch ein bisschen mehr.«
»Ihr sollt ihn kriegen«, sagte ich und stellte mich vor sie hin. »Jetzt gleich.« Ich riss mir die Maske herunter und starrte sie unverwandt an.
Sie sperrten die Münder auf und sahen dabei aus wie blökende Schafe. Fast hätte ich über sie gelacht, aber die Situation war zu ernst.
»Das Mal der Sünde«, stieß einer heiser hervor, »das Mal des Teufels,
voglia di diavolo.
« Ernüchtert wich er zurück.
»Wollt Ihr immer noch einen Kuss?«, fragte ich.
Sie wollten nicht.
Sie gingen rasch, ich setzte die Maske wieder auf und trat an das Bett, in dem die Erde stöhnend lag. »Wer seid Ihr?«, fragte ich.
»Und wer seid Ihr?«, kam es in herrischem Ton zurück.
»In meinem Haus stelle ich die Fragen, also: Wer seid Ihr?«
Die Erde nahm mit dem gesunden Arm ihre Maske ab, und das teigige Gesicht eines ungefähr vierzigjährigen Mannes wurde sichtbar. »Ich bin Helvetico, geweihter Priester des
Ordo fratrum Praedicatorum,
des Prediger- oder Dominikanerordens, wenn Ihr das besser versteht, rechte Hand und Protokollführer des Inquisitors Seiner Heiligkeit, Baldassare Savelli.«
Ich spürte den Stolz und die Arroganz in seiner Stimme, und das allein hätte schon genügt, um mich unsicher zu machen, doch das Stichwort Inquisitor ließ mich innerlich erzittern. Die Worte meiner Mutter, die mich auf dem Sterbebett so eindringlich vor dem Hexenverfolger Girolamo Menghi gewarnt hatte, fielen mir ein.
»Jetzt, wo Ihr wisst, wer ich bin, gebt Euch endlich zu erkennen. Wer seid Ihr?«
»Ich bin Venus, die Göttin der Schönheit, und ich helfe Euch. Das muss genügen.«
»Ihr scheint medizinische Kenntnisse zu haben. Gehört Ihr einem Orden an oder seid Ihr eine Heilerin?«
»Ich bin Venus, wie Ihr an meiner Maske seht.« Meine Stimme klang nur scheinbar fest, denn innerlich focht ich einen Kampf aus, ob ich einem Inquisitor wie Helvetico überhaupt helfen sollte. Tausend Gedanken auf einmal schossen mir durch den Kopf, bis hin zum Verlassen meines Hauses und zur Flucht aus Bologna, aber dann sah ich, wie das Blut immer noch unter Helveticos Hand hervorquoll, und das brachte mich in die Wirklichkeit zurück.
Ebenfalls sehr wirklich war das Stöhnen, das ich fast zur gleichen Zeit von der Tür her vernahm. Latif schleppte sich herein, machte große Augen, als er den Fremden sah, und ließ sich erst einmal am Tisch nieder.
»Du kannst gleich wieder aufstehen, Latif«, sagte ich, »und mir eine Schere, Leinen und eine Schüssel mit heißem Wasser holen.«
»Das geht nicht, Herrin«, sagte er tonlos. »Ich bin tot.«
»Du bist sehr lebendig und wirst sofort tun, was ich dir sage!«
»Jawohl, Herrin!« Latif sprang erschreckt auf und watschelte kopfschüttelnd in die Küche. Noch nie hatte er mich mit so großer Bestimmtheit reden hören.
Als ich das Gewünschte erhalten hatte, schnitt ich Helvetico das Kostüm auf und untersuchte seine Wunde. Die Armschlagader schien verletzt, was kein gutes Zeichen war. Ich konnte versuchen, sie zu nähen, aber der Erfolg war ungewiss. Sicherer war es, die Wunde auszubrennen. Doch womit?
Sollte ich nicht doch besser nähen? Schließlich war ich Schneiderin und verstand mein Handwerk. Außerdem war vor kurzem von Ambroise Paré, einem französischen Chirurgen, eine Ligatur entwickelt worden, die sich bei Amputationen bewährt hatte.
Was sollte ich tun? Wenn ich eine gute Ärztin sein wollte, durfte ich nicht zögern, ich musste rasch handeln. Der Blutverlust von Helvetico war ohnehin schon groß. »Latif«, sagte ich, »geh in die Küche und stecke den Feuerhaken umgekehrt in die Glut. Bringe den eisernen Griff zum Glühen, indem du den Blasebalg kräftig drückst.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann, Herrin.«
»Du kannst es.«
Helvetico meldete sich mit schwacher Stimme. »Was habt Ihr vor?«
»Ihr ahnt es sicher schon, Hochwürden. Ich werde Euch die Wunde ausbrennen.«
»Nein, bitte!«
»Habt Ihr etwa Angst? Ich muss das Kautereisen benutzen, es gibt keine andere Möglichkeit. Es sei denn, Ihr wollt langsam verbluten.«
Helvetico schwieg, während das Leben immer weiter aus ihm herausfloss.
Ich betete lautlos, Latif möge sich beeilen, denn lange konnte ich nicht mehr warten. Endlich erschien er mit dem rotglühenden Feuerhaken. Ich nahm ein Küchenbrett und gab es Helvetico. »Darauf könnt Ihr beißen, wenn der Schmerz zu groß
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