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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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berichten muss, ist das Traurigste, was mir in meinem ganzen Leben widerfuhr. Ich erwähnte schon, dass Giancarlo zu früh auf die Welt kam, aber das war es nicht, was mir Sorgen machte, denn es ist gar nicht so selten, dass ein Kind vier oder sechs Wochen vor der Zeit geboren wird. Was mich beunruhigte, war seine Winzigkeit. Er war um einiges kleiner als normale Kinder und von Anfang an recht schwach.
    Ich wunderte mich darüber, denn in meinem Leib hatte er sich manches Mal kräftig bewegt – kräftiger und häufiger, als mir lieb war. Der Gedanke tröstete mich etwas, und ich sagte mir, dass er schnell wachsen und in seiner Entwicklung rasch aufholen würde. Auch Latif, der mir nicht von der Seite wich, war dieser Ansicht. »Gebt ihm nur tüchtig zu trinken, Herrin«, sagte er. »Dann wird er schon wachsen.«
    »Giancarlo,
cocco mio
«, flüsterte ich, »hast du gehört, was Latif gesagt hat? Du musst tüchtig trinken. Dann wirst du groß und stark und machst deiner Mamma Freude.«
    Das Problem war nur, dass Giancarlo wenig Kraft zum Saugen hatte. Er verschluckte sich ständig, würgte und hustete, und seine winzigen Finger spreizten sich dabei, als wolle er Hilfe herbeiwinken. Doch was sollte ich machen? Was sollte ich tun bei einem Kind, das zu schwach war, um genügend Milch zu trinken?
    Ich betete zu Gott, er möge sich meines Kleinen annehmen, er möge ihm Kraft geben, um von dem zu saugen, was ich so reichlich bereithielt. Latif rief unterdessen Allah an und bat auf seine Art um dasselbe. Anschließend rieb er den Kleinen mit Stroh ab, um seine Lebensgeister zu stärken. Ich selbst versuchte es mehrmals mit einer schwachen Kampferlösung und kreisenden Bewegungen auf der Brust. Doch beide Versuche erwiesen sich als nutzlos.
    Eine herbeigerufene Wehmutter besah sich mein Söhnchen, hörte sein Herz mit einem Holzrohr ab, prüfte seine Reaktionen und betastete seinen Leib – Maßnahmen, die ich alle selbst schon vorgenommen hatte. Sie kam zu dem Schluss: »Euer Sohn hat wenig Willen zu leben. Wenn er trinkt, wird alles gut, wenn nicht …«
    Ein Arzt, den Latif aus der Gemeinde San Salvadore herbeibat, befragte mich eingehend nach meiner Schwangerschaft und deren Verlauf, zog sorgenvoll die Brauen hoch und dozierte mit wichtiger Miene über die Stärke des Lebensstrahls im Allgemeinen und über seine Beschaffenheit bei Neugeborenen im Besonderen. Was zu tun sei, um meinem Kleinen zu helfen, sagte er nicht.
    Währenddessen wurde Giancarlo immer schwächer. In meiner Ratlosigkeit fiel mir Marta ein, die energische, erfahrene Schwester aus dem Hospital von San Lorenzo. Vielleicht wusste sie einen Weg? Ich schickte Latif zum Kloster, und Marta erschien noch in derselben Stunde. Sie begrüßte mich mit dem Kreuzzeichen und war taktvoll genug, mich nicht auf die Sünde anzusprechen, die ich mit der unehelichen Zeugung Giancarlos auf mich geladen hatte. Sie stellte keine Fragen, sondern besah sich meinen Kleinen und untersuchte ihn gründlich. Dann fiel sie vor dem Hausaltar meiner Mutter auf die Knie und faltete die Hände, denn mehr konnte auch sie nicht tun. Sie flehte Gott um Beistand an, auf dass er dem kleinen Leben Kraft geben möge. Ihr Gebet war lang und inbrünstig, und ich war ihr außerordentlich dankbar dafür. Doch bewirken tat es nichts.
    »Was soll ich nur tun, Latif?«, fragte ich verzweifelt, und genauso verzweifelt antwortete er: »Ich weiß es nicht, Herrin, wir können nur hoffen, dass es Allah, dem Erretter, dem Erlöser, gefällt, unseren Kleinen am Leben zu lassen.«
    Am dritten Tag nach der Geburt erschien jemand, mit dem ich niemals gerechnet hätte: Es war Pater Edoardo von der Gemeinde San Rocco, jener Gottesmann, der vor vielen Jahren die Teufelsaustreibung an mir vorgenommen hatte. Als ich ihn sah, schrak ich zusammen, und die Kehle schnürte sich mir zu, aber dann bemerkte ich, dass er alt geworden war, ein alter, ergrauter Mann, von dem keine Gefahr mehr ausging. »Ich höre, der Herr stellt dich auf eine harte Probe, meine Tochter«, sagte er und musterte mich.
    »Ja, Hochwürden«, sagte ich beklommen.
    »Du bist eine erwachsene Frau geworden.« Seine Stimme klang fast ein wenig enttäuscht. »Nun hast du ein Kind der Sünde zur Welt gebracht, eines, das nicht leben will und ungetauft zu sterben droht. Ich will es taufen, damit es Jesu Christi gleichgestaltet ist, damit es mit ihm in eine Gemeinschaft tritt und ihm angehört. Denn das ist meine Pflicht.«
    »Ja,

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